Herrnhuter Losung: Ein Psalmwort zum Reformationstag 2017

Im Jahr 1731 erschien die erste gedruckte Ausgabe der Herrnhuter Losungen, die bis heute regelmäßig für jedes Jahr ausgelost werden.
Foto: epd-bild/Matthias Weber
Im Jahr 1731 erschien die erste gedruckte Ausgabe der Herrnhuter Losungen, die bis heute regelmäßig für jedes Jahr ausgelost werden.
Herrnhuter Losung: Ein Psalmwort zum Reformationstag 2017
Im sächsischen Herrnhut hat die Evangelische Brüder-Unität am Mittwoch die Losungen für das Reformationsjubiläum 2017 gezogen. Zur Auswahl standen insgesamt rund 1.100 Sprüche aus alttestamentlichen Texten. Einer davon ist auch für den Reformationstag 2017 bestimmt.

"Ein Bestseller, den man auf den Bestsellerlisten vergeblich suchen wird", schrieb einmal die Tageszeitung "Die Welt". Es müssen mehrere Millionen Menschen sein, die weltweit jeden Tag über die biblische Losungen nachdenken – und idealerweise ins Gespräch kommen. Die Idee stammt von Nikolaus Ludwig Reichsgraf von Zinzendorf, dem Gründer der Herrnhuter Brüdergemeine, der seine Brüdergemeine zur täglichen Bibellese anhalten wollte. Die Idee verbreitete sich von hier über die ganze Welt – ganz ohne Marketing, einfach so.

Am 30. April 2014 sind die Tageslosungen für das Jahr 2017 gezogen worden – für das Jahr, in dem sich die Reformation zum 500. Mal jährt. Im Sitzungssaal des Vogtshofs zu Herrnhut, einem barocken Prachtbau an der Ausfallstraße nach Zittau, haben sich 32 Gäste früh um 8 Uhr zum Morgensegen versammelt. Darunter auch die Bischöfin der Methodistischen Kirche in Deutschland, Rosemarie Wenner. Auch sind einige Brüder und Schwestern der Herrnhuter Brüdergemeine aus Zeist, Niederlande angereist. 

Vor der eigentlichen Losziehung wird um Gottes Segen gebetet. Weil man das Zufallsprinzip für ein Gottesurteil hält? "Gottesurteil ist ein großes Wort", sagt Pfarrer Erdmann Becker von der Brüdergemeine in Herrnhaag bei Büdingen, Hessen. Auch er ist heute zu Gast in Herrnhut. "Ich würde eher sagen: Dieses Verfahren entzieht sich jeder menschlichen Einflussnahme. Es verhindert jede Manipulation."

Gottes Wort für jeden Tag - in über 54 Sprachen

Die Kiste mit den 1.824 alttestamentlichen Losnummern sowie das Buch mit den 1.824 Losungsversen wird jedes Jahr im Frühjahr hervorgeholt. Die Lose aus den beiden vorangegangenen Jahren fehlen allerdings in der Schale, um Wiederholungen zu vermeiden. Trotz all solcher Sicherungen, so berichtet der Herrnhuter Öffentlichkeitsreferent Andreas Tasche, gebe es immer wieder merkwürdige Zufälle. So hatte ein Hamburger Anfang März 2001 bei der zuständigen Außenstelle der Brüdergemeine in Bad Boll die Losungen zu den drei Geburtstagen seiner Kinder angefragt: Lukas Benjamin, Anneli Marie und Michel Christopher. Es stellte sich heraus: Für jeden der drei Geburtstage (für den 29. Dezember 1995, den 19. August 1998 und den 19. Februar 2001) sei stets derselbe Losungstext gezogen worden: Jesaja 54,5, "Dein Erlöser ist der Heilige Israels, der aller Welt Gott genannt wird."

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Noch so ein Zufall: "Der Herr macht arm und macht reich" – so lautete die Herrnhuter Tageslosung für den 1. Juli 1990 (1. Samuel 2,7). Es war der Tag der Währungsunion, als die D-Mark in der DDR eingeführt wurde, einige Monate vor der Wiedervereinigung. Der biblische Vers passte perfekt.

Dabei werden die Losungen drei Jahre im Voraus gezogen. Ein Herrnhuter Bruder zieht kleine nummerierte Papierstreifen aus einer Glasschale, uralte und Hand beschriebene. Ein anderer Bruder schlägt den dazugehörigen alttestamentlichen Vers aus einem Buch vor, liest ihn vor. Viel später suchen andere Brüder und Schwestern außerhalb von Herrnhut passende neutestamentliche Verse und Liedzeilen dazu – wofür sie ein Jahr Zeit haben. Erst im Sommer des Vorjahres kommen die Losungen gedruckt auf den Markt. Der 1. Samuel-Vers aus dem Lobgesang der Hanna wurde also schon 1987 in Herrnhut, Oberlausitz, damals noch DDR, gezogen. Da konnte niemand wissen, was die Jahr 1989 und 90 bringen würden.

Die kleinen Herrnhuter Büchlein bieten für jeden Tag des Jahres eine alttestamentliche Losung, einen neutestamentlichen Lehrtext, ein Liedvers. Die für 2014 erschienen etwa zweimillionenfach in über 54 Sprachen, dazu eine unbekannte Zahl von Internetabrufen: Die Losungen als Startmenu, als App, als E-Mail und zum Einbauen auf der eigenen Website. Finnland hat die größte gedruckte Auflage nach Deutschland, wohl weil es dort keine Konkurrenzprodukte gibt: Abreißkalender mit frommen Sprüchen. In Tansania sendet Radio Baraka FM täglich Andachten zu den Losungen.

Notarielle Aufsicht? Man kommt auch ohne aus

Sitzungssaal im Herrnhuter Vogtshof, 11 Uhr: Das letzte Jahresdrittel für 2017 wird in der nun beginnenden Stunde ausgelost, also auch der Losungstext für den 31. Oktober, den 500. Reformationstag. Ein schlichter weißlackierter Saal, weißlackierte Dielen, ein weißlackierter Tisch mit barock geschwungenen Beinen, gepolsterte weiße Holzstühle, eine mit Silber eingefasste Glasschale mit etwa 1.100 Losen. Drumherum versammelt für die dritte Ziehung: Bruder Michael Schmorrde (Direktionsmitglied der Herrnhuter Brüder-Unität), Bruder Peter Vogt (Pfarrer in Herrnhut und Studienleiter der Brüder-Unität) und die Schwestern Jutta Kluge und Corina Halang, beide aus Herrnhut.

Schwester Kluge ruft den Tag auf, Bruder Vogt greift in die Schale: 1. September 2017: gezogen wird Kärtchen Nummer 843, Bruder Schmorrde blättert die Nummer im Spruchgutbuch nach und liest den Bibelvers vor, Schwester Kluge bestätigt den Vers fürs. Schwestern Halang protokolliert. Hier herrschen Nüchternheit und Konzentration. Notarielle Aufsicht? Man kommt auch ohne aus.

Nur zweimal in der 285-jährigen Geschichte der Losungen wurden die Herrnhuter genötigt, Verse aus dem Losungsbüchlein zu ändern. Anfang 1946 passte der sowjetischen Militärregierung in der Ostzone der neutestamentliche Vers für den 1. Mai nicht: "Durch den Glauben haben Männer Königreiche bezwungen, Gerechtigkeit gewirkt, Verheißung erlangt, sind kräftig geworden aus der Schwachheit, sind stark geworden im Streit, haben die fremden Heere darniedergelegt" (Hebräer 11,33f).

Stattdessen verlangten die Sowjets einen Vers aus dem Prophetenbuch Haggai 2,4: "Sei getrost, alles Volk im Lande! Und arbeitet! Denn ich bin mit euch, spricht der Herr Zebaoth." Wer damals regelmäßig die Losungen las, wird die Zensur bemerkt haben: Hier sollte eigentlich ein neutestamentlicher Vers stehen, keiner aus dem Alten Testament!

Den Vers für den 13. August 1961, Tag des Mauerbaus, konnten die Zensoren nicht mehr zurückhalten. Er lag ja längst in den Stuben der Abonnenten: "Es wird ein Durchbrecher vor ihnen heraufziehen, sie werden durchbrechen und durchs Tor hinausziehen, und ihr König wird vor ihnen hergehen und der Herr an ihrer Spitze." (2. Samuel 2,13). Bis zur Erfüllung dieser Verheißung sollte es 28 Jahre und knapp drei Monate dauern.

Losnummer 696 - ein Psalmwort zum 500. Reformationstag

Zurück in den Sitzungssaal des Vogtshofes. Nach 20 Minuten sind die Verse für den Monat September gezogen. Nun tauschen die Brüder und Schwester die Rollen. Bruder Schmorrde zieht die Lose, und Bruder Vogt schlägt die dazugehörigen Verse nach – Tag für Tag, Monat für Monat. Eine sehr sachliche Prozedur. Inzwischen ruft Schwester Halang schon den 3. Oktober 2017 auf, den 27. Tag der Deutschen Einheit. Vogt liest die Nummer 290 vor, Schmorrde liest das dazugehörige Psalmwort vor – ein Vers mit West und Ost, wie passend!

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In Herrnhut prahlt man nicht mit Erfolg und Einfluss. Selbst Zahlen darüber, wie groß seine Verbreitung ist, sucht man im Losungsbüchlein vergeblich. Eine weise Zurückhaltung! Denn welche Menschen welche Schlüsse aus den Losungen ziehen, darauf hat man hier in Herrnhut natürlich keinerlei Einfluss.

In Herrnhut nähert sich der 31. Oktober. Dreimal hintereinander ruft Schwester Halang Prophetenworte auf. Bruder Schmorrde zieht das Los, Nummer 696, ein Psalmwort. So viel sei schon mal verraten: Zum 500. Reformationstag kein Vers, in dem es um die Rechtfertigung des reuigen Sünders geht, keine Bestätigung einer großherzigen lutherischen Gnaden- und Trosttheologie. Sondern ein schlichter Aufruf, Gutes zu Tun. Sollte da das Herrnhuter Los mal wieder goldrichtig gelegen haben?