Sie wecken den Müntzer

Foto: Deutsches Nationaltheater Weimar
Szenenfoto aus "Vom Lärm der Welt".
Sie wecken den Müntzer
Auftragswerk zum Reformationsjubiläum in Weimar uraufgeführt
Das Reformationsjubiläum hat nun auch die Theaterbühne erreicht. Zumindest als Stichwortgeber für ein Stück um Rebellion, Revolution und Gewalt. In Weimar feierte ein Stück über den Bauernkriegsführer Thomas Müntzer Uraufführung.
31.03.2014
epd
Thomas Bickelhaupt

Eine Frau tritt auf die Bühne und singt von ihren Hoffnungen und Ängsten für das Kind, das sie unter ihrem Herzen trägt. Sie will ihm lichter Himmel und schützende Mauer zugleich sein. Wie abwesend streicht sie dabei mit ihrer Hand über den gewölbten Bauch. Augenblicke später denken die "Dämonen der Zukunft" über den Fortgang der Geschichte nach. "Ich weck' dann mal den Müntzer", sagt einer.

###mehr-artikel###Die jüngste Premiere im Deutschen Nationaltheater Weimar galt am Wochenende der Uraufführung eines Auftragswerkes zum Reformationsjubiläum 2017. Unter dem Titel "Vom Lärm der Welt oder Die Offenbarung des Thomas Müntzer" inszenierte Generalintendant Hasko Weber ein Gemeinschaftswerk von Schauspiel, Musiktheater und Staatskapelle, für das der Leipziger Autor und Theologe Christian Lehnert den Text schrieb. Die Musik stammt von dem 1968 in Eisenhüttenstadt geborenen Komponisten und Musikproduzenten Sven Helbig.

Zum Ausgangspunkt des Stücks machte Lehnert, Jahrgang 1969, den Konflikt zwischen den einstigen Weggefährten und späteren Gegnern Martin Luther und Thomas Müntzer. Dessen radikaler Einsatz für eine Gesellschaftsutopie brachte letztlich im Bauernkrieg von 1525 Tausenden aufständischen Bauern und ihm selbst den Tod. Für Lehnert stand bei der Auseinandersetzung mit Müntzer im Mittelpunkt, wie man eigentlich darauf komme, "dass Geschichte ein Ziel oder einen Sinn oder eine Kraft zur Erlösung hat".

Die endzeitliche Unruhe ist zeitlos

Im Übrigen halte er es für "erstaunlich, wie eine endzeitliche Unruhe bis heute in unserer Gesellschaft immer wieder auftaucht", sagte Lehnert in einem Zeitungsinterview. Sein Text diskutiert diese Frage anhand von nicht weniger als 71 Quellenangaben zu Äußerungen über Revolution und Rebellion, zu sozialer Gerechtigkeit oder zu Zukunftsvisionen. Die ausgewiesenen Autoren reichen von Luther und Müntzer über Karl Marx und Friedrich Engels, Friedrich Nietzsche und Rosa Luxemburg bis hin zu dem NS-Ideologen Alfred Rosenberg und der Linken-Politikerin Sarah Wagenknecht. Zudem kommt mit dem Islamismus eine aktuelle Form der Kapitalismuskritik in den Blick.

Seiner anspruchsvollen Textcollage hat Lehnert zahlreiche detaillierte Regieanweisungen beigegeben, um damit der abstrakten Diskussion zu einer emotionalen Ebene zu verhelfen. Müntzer beispielsweise hockt vor einem zerschlagenen Kruzifix und den Trümmern eines Altars, die Atmosphäre einer Messe unterstreichen Ministrantenglöckchen und Chorgesang, Müntzer und Luther begegnen sich als Marionetten eines Puppenspiels.

###mehr-info###

Plakative Aktualisierungen

Die Weimarer Inszenierung indes ignoriert diese Vorgaben. Sie stellt das Geschehen stattdessen in das von einer aufsteigenden schiefen Ebene begrenzte Rund der Drehbühne, das je nach Bedarf Kirchenraum, Schlachtfeld oder Bahnhofshalle ist. Gelegentlich leuchtet über allem ein großes Neonkreuz. Darüber hinaus sorgen nahezu permanente Videoprojektionen für plakative Aktualisierungen - bis hin zur Krim-Annexion durch den Moskauer Kremlchef Wladimir Putin.

Schauspieler, Opernchor und Solisten sowie die Staatskapelle stellen sich ihrem jeweiligen Part mit hohem künstlerischen Anspruch und Einsatz. Die Behandlung des großen Themas auf einer weithin kahlen Bühne fand jedoch beim Publikum eine durchaus zwiespältige Resonanz. Manche Premierenbesucher sprachen von Agitprop auf hohem Niveau. Die Diskussion ist eröffnet.