Kann man vom Krieg erzählen?

Straßenszene aus dem Libanon
Foto: LAIF/VU/laif
Straßenszene aus dem Libanon
Kann man vom Krieg erzählen?
In jedem Augenblick herrscht irgendwo Krieg auf der Welt. Und in der modernen Kommunikationsgesellschaft haben wir immer direkter Zugriff auch ein Massenangebot an Informationen und Bildern über Kriege. Aber kann man den Schrecken, den die Menschen vor Ort erleben, überhaupt beschreiben?

Das Phänomen Krieg ist nur schwerlich zu fassen: Krieg ist so alt wie die Menschheit, aus ihm werden Helden geboren und Mythen geschaffen. Und dennoch verbreitet Krieg durch Gewalt, Vertreibung und Zerstörung Schrecken und Ungläubigkeit - ob in Ex-Jugoslawien, ob Irak, Afghanistan, Tschetschenien oder im Sudan, oder aktuell in Syrien und der Zentralafrikanischen Republik. Kann man vom eigentlich Unfassbaren linear und logisch erzählen?

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Kriegsüberlebende, die den Schrecken hautnah miterlebten, sind oft allein aufgrund ihrer Traumatisierung nicht in der Lage, nach klassischen Ordnungsschemata über das Geschehen zu berichten. Krisenreporter dagegen erzählen auf Grundlage einzelner Aussagen und Informationen nur eine mögliche Version des eigentlich Unvorstellbaren, meint Albrecht Koschorke, Literaturwissenschaftler an der Universität Konstanz. "Wir wissen nicht alles über Geschichte. Man versucht bloß, Plausibilitäten zu erzeugen. Aber auch ein Kriegsberichterstatter muss das irgendwann zusammenbauen, sonst wird keine Geschichte daraus, die er erzählen kann, und mit der er womöglich zu Hause Leute mobilisiert."

Erzählungen über den Krieg sind also immer geprägt von Lücken und Unerklärtem, von der Subjektivität dessen, der versucht, der Gewalt so etwas wie einen sinnstiftenden Rahmen zu geben. Das gilt übrigens nicht nur für die Opfer der Gewalt, sondern auch für die Täter. Die Rassenfantasien der Nationalsozialisten, die Rede Saddam Husseins über die "Mutter aller Schlachten" oder Slobodan Miloševićs Visionen über die mythische Bedeutung des Amselfelds in Kosovo für das großserbische Volk: diese Erzählungen wollen eine Legitimation schaffen für Gewalt, Vertreibung und Unterdrückung.

Erzählen über den Krieg ist ein Wirtschaftsfaktor

Auch der unbegrenzte Informationszugang, wenn im Internet, auf Twitter oder Facebook das Kriegsgeschehen und die Zeugnisse tausender Menschen immer unmittelbarer in unsere Wohnzimmer drängen, ändert daran nichts, meint die Berliner Literaturwissenschaftlerin Ethel Matala. Sie spricht vom "Daten-Overkill". Ein Großteil der Informationen in den neuen Medien werde aufgrund ihrer schieren Masse gar nicht wahrgenommen. "Die Aufgabe professioneller Kriegsberichterstatter ist die des Filterns. Sie müssen entscheiden, welche Geschichten den Charakter potentieller Symbole für einen ganzen Krieg haben. Da geht es immer um eine pars pro toto Logik, ein Teil, über den ein Ganzes erschlossen werden soll, das in seiner Gänze eben nicht erzählt werden kann."

Das Erzählen über den Krieg, der Wettlauf um die beste Story, ist dabei längst zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden. 3.000 bis 4.000 Dollar pro Tag kostet der reguläre Aufenthalt eines Krisenreporters beispielsweise im Irak. Die Kosten für Unterbringung, Schutzausrüstung, Verpflegung, Sicherheitstraining, einen lokalen Vermittler sowie für Fahrer und Auto steigen spätestens nach drei Monaten Kriegsgeschehen derart an, dass Journalisten immer öfter auf die Infrastruktur des Militärs zurückgreifen müssen. Die Auswirkungen auf eine neutrale Berichterstattung sind da leicht vorstellbar.

Der vielfach ausgezeichnete Fotojournalist Michael Kamber, der unter anderem für die New York Times im Irak fotografierte, sieht diese Entwicklung äußerst kritisch: "Die Chicago Tribune hat gerade ihr komplettes Foto-Team entlassen, 38 Fotografen und Gewinner von Pulitzerpreisen. Jetzt kaufen sie für hundert Dollar Fotos von Freelancern vor Ort. Gerade im arabischen Frühling haben einige Medien Fotos von 18 oder 19 Jahre alten Jugendlichen vor Ort gekauft, um die sie sich nicht weiter kümmern müssen. Einmal 100 Dollar, und das war’s."

Bilder beeinflussen die Stimmung

Krieg ist immer auch ein Krieg um Bilder. Tageszeitungen und Fernsehkanäle brauchen spektakuläre Szenen, um die Konsumenten zu bedienen, und die Kriegsparteien nutzen sie, um sich selbst ins rechte Licht zu setzen. Auch für außenstehende Militärs sind Bilder das wichtigste Mittel, um die Stimmung der Bevölkerung zu beeinflussen und politische Mehrheiten für einen Einsatz zu organisieren. "Bilder produzieren persönliche Betroffenheit bei denen, die  über ein Eingreifen entscheiden, aber auch bei denen, die dann hinter der Bundesregierung stehen sollen. Ohne Bilder läuft gar nichts! Die Medienarbeit vor Ort ist meiner Meinung nach wichtiger als der operative Einsatz!" bestätigt Klaus Reinhardt, ehemaliger General und Befehlshaber der KFOR-Truppen in Kosovo.

Dabei ist spätestens seit dem Ersten Weltkrieg bekannt, dass Frontbilder bestenfalls ein Schnappschuss eines winzigen Ausschnitts der Realität sind, meint Gerhard Paul, Historiker an der Universität Flensburg. Ein Großteil der Frontaufnahmen seien gestellt oder aus bis zu 20 verschiedenen Bildern zusammengestellt gewesen. "Aufgrund seines Warencharakters hat ein Bild auch heute nur dann eine Möglichkeit, in die größere Öffentlichkeit zu gelangen, wenn es spektakulär und dramatisch ist. In aller Regel ist der Krieg aber gar nicht spektakulär." Paul vertritt die These, dass es nicht so viele Kriege gäbe, wenn nicht so viele Fotografen und Kameraleute vor Ort wären.

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In diesem Sinn erscheint ein Kriegsschauplatz wie eine Bühne, auf der die unterschiedlichen Parteien je nach Interessenlage präsentiert werden. Und tatsächlich spricht man im Englischen vom "war theatre", vom Kriegstheater. Vom Krieg zu erzählen bedeutet heute vor allem, sich in der Informationsflut eine Orientierung zu verschaffen und skeptisch zu sein gegenüber allzu einfachen Erklärungen des im Grunde Unerklärlichen. Jede Geschichte, jedes Bild aus dem Krieg hat noch eine weitere Dimension als nur die Darstellung des Leids anderer Menschen. Es geht sowohl bei Opfern als auch bei Tätern des Krieges immer auch um Sinnstiftung, Erklärung oder sogar Legitimation von Gewalt, Schrecken und Elend.