Forscherin: Heim-Jugendliche brauchen mehr Hilfe

Forscherin: Heim-Jugendliche brauchen mehr Hilfe
Jugendliche aus Heimen und Pflegefamilien sind nach Angaben der Hildesheimer Erziehungswissenschaftlerin Severine Thomas gegenüber anderen jungen Erwachsenen deutlich benachteiligt.
06.01.2014
epd
Reimar Paul

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Wer in stationären Hilfeeinrichtungen aufwachse, müsse sich ungeachtet der eigenen Biografie bereits mit dem Erreichen der Volljährigkeit auf ein eigenverantwortliches Leben vorbereiten, sagte Thomas dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dagegen begännen die bei ihren Herkunftsfamilien groß gewordenen Frauen durchschnittlich mit 23,9 Jahren, die Männer sogar erst mit 25,1 Jahren eine selbstständige Lebensführung.

Gegenwärtig leben in Deutschland rund 150.000 Minderjährige in Jugendheimen, betreuten Wohngruppen oder bei Pflegeltern. Nach dem Ende der Erziehungshilfe könnten die meisten der sogenannten "Care Leaver" auf kein gesichertes familiäres oder soziales Netz zurückgreifen und seien sehr früh auf sich alleine gestellt, sagte Thomas. "Von heute auf morgen stecken sie in einer fragilen Lebenslage. Bei vielen bricht das Leben wie ein Kartenhaus zusammen."

Deutschland hat keine Übergangsmodelle

Weil sie nur bedingt familiäre Unterstützung erführen, seien diese jungen Menschen "überproportional von Bildungsbenachteiligung" betroffen. Knapp ein Drittel von ihnen besuche beim Ablauf der Hilfe weder eine Schule noch machten sie eine Ausbildung. "Und nur ein Prozent der 'Care Leaver' studiert", fügte Thomas hinzu. Im Bundesdurchschnitt beginnt jeder dritte deutsche Erwachsene ein Studium an einer Hochschule.

Thomas bemängelt auch das Fehlen von Unterstützungs- und Übergangsmodellen für ehemalige Heimbewohner. Anders als in Ländern wie Norwegen oder Großbritannien fehlten in der Bundesrepublik "verlässliche Wegbegleiter, die die Jugendlichen auch außerhalb des formalen Hilfesystems unterstützen und sich zuständig fühlen". In kaum einer Einrichtung gebe es die Chance, nach dem Umzug in eine eigene Wohnung vorübergehend in die stationäre Hilfe zurückzukehren. In Krisensituationen sei dies aber durchaus sinnvoll. Der Übergang von der Erziehungshilfe in die Selbstständigkeit müsse verbessert werden, forderte Thomas.