Evangelikaler Funktionär kritisiert Überbewertung sexualethischer Fragen

Evangelikaler Funktionär kritisiert Überbewertung sexualethischer Fragen
Bei evangelikalen Christen deutet sich ein Wandel im Umgang mit der Sexualität an.

"Die Evangelikalen sollten zumindest aufhören, ihr Gegenüber vor allem anhand sexueller Verfehlungen zu beurteilen", sagte der Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz, Michael Diener, dem christlichen Medienmagazin "pro" (Wetzlar). Die frommen Christen hätten eine "Sündenhierarchie" aufgebaut, in der sexualethische Fragen sehr weit oben stünden. "Gott hat uns zehn Gebote gegeben, nicht nur eines", betonte Diener.

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Der Theologe beklagte einen "selbstgerechten Ton", der in evangelikalen Kreisen in Sachen Sexualethik anzutreffen sei. Er werde regelmäßig zu Unterschriftenaktionen zu sexualethischen Themen aufgefordert, berichtete Diener. "Ich warte noch auf den ersten, der mich um Hilfe beim Protest gegen die Asylpolitik der Europäischen Union bittet. Dass Menschen vor Lampedusa ersaufen, geht vielen frommen Menschen nicht so nah wie das persönliche Lebensverhältnis von Herrn Gauck."

Das Recht des Flüchtlings auf Schutz spiele in der Bibel eine große Rolle, betonte Diener. "Auch da versagen wir als Christen ethisch." Den Umgang mit Reichtum und Geld klammerten viele Christen stillschweigend aus. "Jesus mahnt in der Bibel auch permanent vor der Gefahr der Heuchelei, der Selbstgerechtigkeit und des Hochmutes. Das sind Sünden, die fromme Menschen eher gefährdet sind, zu begehen."

Ablehnung von Muslimen problematisch

Viele evangelikale Christen täten sich grundsätzlich schwer mit "allem Andersartigen, Fremden". Weiter sagte er: "Mich wundert, dass die Liebe Gottes, die uns doch so wichtig ist, oft zu lieblosem Verhalten führt." In diesem Zusammenhang warb Diener auch für eine differenzierte Haltung hinsichtlich des Islam und der Muslime. Wegen der Missachtung von Grundrechten und der Verfolgung von Christen in islamischen Ländern urteilten viele Menschen negativ über Muslime, die hier leben.

Eine generelle Ablehnung muslimischer Mitbürger halte er aber für problematisch, sagte der Theologe: "Wir erwarten von Muslimen, dass sie unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung vorbehaltlos anerkennen, was eine Geltung der Scharia (Islamisches Rechtssystem) ausschließt, und zugleich fördern wir ihre Integration. Das halte ich für den gebotenen Weg."

Michael Diener ist Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes und seit 2012 ehrenamtlicher Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz. Der Theologe ist Pfarrer der pfälzischen Landeskirche. Die im 19. Jahrhundert entstandene Deutsche Evangelische Allianz versteht sich als "Netzwerk evangelikaler Christen" mit einem pietistisch, freikirchlich oder charismatisch geprägten und konservativen Glaubensverständnis.