Rumänien: Ein Hundeleben

Foto: George „Poqe“ Popescu
Rumänien: Ein Hundeleben
Nach dem Tod eines Kindes dürfen Straßenhunde in Burakest wieder getötet werden. Tierschützer protestieren
Nachdem ein Vierjähriger in Bukarest von Straßenhunden totgebissen wurde, hat Rumänien ein Gesetz verabschiedet, das die Tötung der Tiere wieder erlaubt. Tierschützer protestieren, doch Umfragen zufolge sprechen sich rund 75 Prozent der Bürger für eine radikale Lösung aus. In der rumänischen Hauptstadt leben rund 64.000 Straßenhunde, täglich landen 30 Menschen mit Hundebissen in der Notfallstation. Wie gestaltet sich das Zusammenleben von Menschen und Hunden in der Großstadt? Eine Geschichte von Mitgefühl und Lebensgefahr.

Ein Landweg führt an alten Kolchosen und brachliegenden Feldern vorbei, biegt ab und teilt sich mehrmals, bevor er vor einem weiß gestrichenen Gebäude endet. Das Tierheim von  Mihailesti, ein Dorf 25 Kilometer südlich von Bukarest, ist seit vier Jahren Sammelstelle für "aggressive herrenlose Hunde", wie Tierheimverwalter Robert Antonio Lorentz erklärt. Bis vor kurzem hat Lorentz bei der Hauptstadtverwaltung die Abteilung für Tierüberwachung geleitet - jene Behörde, die immer in die Schlagzeilen gerät, wenn mit den Straßenhunden etwas schief läuft. Und im Moment läuft vieles schief: Täglich werden 30 Bukarester gebissen, jedes Jahr enden zwei Angriffe tödlich.

Auf dem Gelände vor dem Hundeheim sind die Wagen der Verwaltung geparkt. Vorne sitzen ein Fahrer und der Hundefänger, hinten warten ein Stock mit Schlinge und ein Käfig auf ihren Einsatz. Doch nur zehn solche Teams arbeiten derzeit, denn das Rathaus muss wegen der Wirtschaftskrise sparen. "So kann es nicht weitergehen. Wir haben jahrelang nichts gemacht und müssen endlich eine Lösung finden", empört sich Oberbürgermeiser Sorin Oprescu. "Eigentlich befürworteten alle Parteien im Parlament unseren Vorschlag, die Hunde zu töten, wenn sie nicht adoptiert werden. Doch keiner traute sich bisher, die Dinge öffentlich beim Namen zu nennen", fügt er hinzu.

Bukarest: Zwei Millionen Menschen und 64.000 Streuner

Tierschutzvereine protestieren gegen das Gesetz. "Das ist ein Massenmord mit Ankündigung", empört sich Kuki Barbulescu von dem Verein "Vier Pfoten". "Wir werden vor das Verfassungsgericht ziehen." Doch Umfragen zufolge sprechen sich rund 75 Prozent der Bürger für eine radikale Lösung aus. In Bukarest wurde in den letzten Wochen mehrmals gegen die Passivität der Behörden und für die "Hundeeuthanasie" demonstriert.

Das neue Gesetz erlaubt den Kommunen, herrenlose Hunde zu fangen und zu töten, wenn sie innerhalb von 14 Tagen nicht adoptiert werden. Eine ältere Version dieses Gesetzes wurde im Jahr 2012 vom Verfassungsgericht aus formellen Gründen kassiert. Auf Initiative des Bukarester Oberbürgermeisters sieht das neue Gesetz vor, dass Menschen, die die Hunde adoptieren und sie dann wieder in den Straßen auf freien Fuß setzen, eine Straftat begehen. So war es bei den Hunden, die das Kind totgebissen haben.

Tierheimverwalter Lorentz öffnet eine schwere Metalltür. "Hier landen ausschließlich Tiere, die mindestens einmal jemanden schwer gebissen haben", versichert er, als er die schlichten Räume des Hundeheims betritt. Die Hauptstadtverwaltung hat das Gebäude einer alten Schweinefarm in dem  Dorf erworben und grob saniert. An den Wänden der ehemaligen Stallungen reihen sich jetzt Käfige mit blauem Doppelgitter. Das Gebell ist ohrenbetäubend, der Geruch schwer erträglich. 220 Hunde sind hier derzeit untergebracht.

Die Straßen von Bukarest müssen sich heute mehr als zwei Millionen Menschen und rund 64.000 Straßenhunde teilen. Oft liegen die Nerven blank. "Das war nicht immer so", erinnert sich Dina Rusu und schiebt ihr Fahrrad ein Stück weiter. "In meiner Kindheit fühlte man sich hier wohl, im Zentrum gab es viele Häuser mit Gärten, wir hatten unsere Ruhe fast wie auf dem Land", erzählt die 60-jährige Frau. Doch in den siebziger und achtziger Jahren erlebte Bukarest einen gewaltigen Umbruch. Im Zuge seines größenwahnsinnigen Systematisierungsprogramms ließ der "beliebteste Führer" Rumäniens, Nicolae Ceausescu, einen großen Teil der Altstadt abreißen. Hunde durften nicht in die neuen Plattenbauten einziehen, sie blieben vor der Tür.

Dina Rusu biegt ab in die kleinen Gassen des Serban-Voda-Friedhofs. "Allein hier habe ich mindestens 20 tierische Freunde", berichtet sie stolz. Auf beiden Seiten liegen die Grabsteine berühmter Figuren der rumänischen Kunst, Geschichte und Literatur. Die Frau hält an einer kleinen Kreuzung, holt einen Topf aus ihrem Fahrradgepäck heraus und fängt an, die Namen der Hunde zu rufen. "Heute sind sie ein bisschen scheu, es gibt zu viele Besucher hier", erklärt sie, als sie eine Mischung aus eingeweichtem Brot und Schmalz aus dem Topf herauslöffelt und in kleine Portionen am Rande der Gasse verteilt.

Die Tiere werden aggressiver

Tier und Mensch können sich im Bukarester Alltag durchaus aufeinander einlassen. Fast an jeder Straßenecke steht eine kleine Schüssel mit Wasser, ein Tellerchen mit ein paar Knochen oder ein Plastikbehälter mit den Überresten vom Mittagessen. "Es sind überwiegend ältere und ärmere Leute, die die Gemeinschaftshunde füttern", erklärt Tierheim-Leiter Lorentz.

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Doch gerade die unteren Schichten sind von der Wirtschaftskrise und der Sparmaßnahmen der Regierung betroffen. "Das Futter ist folglich knapp und deswegen sind die Tiere seit einiger Zeit aggressiver geworden", sagt Lorentz.

Allein in diesem Jahr wurden fast 700 Hunde durch Privatpersonen aufgenommen, nachdem sie im Heim von Parasiten befreit, geimpft, gekennzeichnet und sterilisiert worden sind. "Nach der Adoption kehren aber 90 Prozent der Hunde auf die Straßen zurück, denn viele Menschen sind mit dem Status Quo zufrieden", sagt Lorentz. Tatsächlich glauben einige Bukarester, dass ihre Plattenbauwohnungen besser geschützt sind, wenn Straßenhunde sie bewachen. "Infolge der massiven Industrialisierung der siebziger und achtziger Jahre sind viele Rumänen von den Dörfern in die Städte umgezogen, aber diese Urbanisierung ist oft nur ein oberflächliches Phänomen geblieben", erklärt die Politologin Alina Mungiu Pippidi.

Streuner vermehren sich rasant

"Unsere Stadt muss endlich aufhören, immer eine Ausnahme unter den europäischen Metropolen zu sein. Wer Tiere mag, soll sie doch in die Wohnung mit rein nehmen", meint Oberbürgermeister Sorin Oprescu.

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Die Hauptstadtbehörden haben in den vergangenen Jahren mehr als die Hälfte der Straßenhunde kastriert und mit gelben Chips gekennzeichnet. Doch die restlichen Tiere vermehren sich in rasantem Tempo: Innerhalb von drei Jahren kann die Zahl der Nachkommen einer einzigen Hündin mehr als 4.000 Tiere betragen.

"Hunde sind im Grunde genommen Haustiere, sie können also nur in Ausnahmefällen aggressiv sein", sagt Kuki Barbulescu von dem Verein "Vier Pfoten". Wie die anderen Tierliebhaber unterstützt sie als Lösung die Kastration der Hunde. Tierheimleiter Lorentz widerspricht: "Unsere Hundeheime sind immer voll, hier in Mihailesti haben wir nur noch sieben freie Plätze. Und trotzdem häufen sich weiterhin Bürgerbeschwerden über Hundebisse". Doch auch er ist gegen die Tötung der Tiere: "Um das Problem einigermaßen in den Griff zu bekommen, brauchen wir eben mehr Tierheime und mehr Verantwortung in der Gesellschaft. Ein kastrierter Hund beißt genauso gut wie einer, der nicht kastriert ist". Und während die Menschen streiten, geht das Hundeleben in Rumänien weiter seinen Gang.