"Josef stirbt bald": Wie Kinder mit dem Tod umgehen

Josef Müller ist todkrank und malt mit Kindern im Kindergarten
Foto: epd/Uwe Lewandowski
Josef Müller ist todkrank. Das wissen auch die Kinder, mit denen er im Kindergarten malt.
"Josef stirbt bald": Wie Kinder mit dem Tod umgehen
Die Kindergartenkinder lieben es, mit Josef Müller zu malen. Dass der Rentner krank ist und bald sterben könnte, wissen sie. Er hat daraus nie ein Geheimnis gemacht.
11.07.2013
epd
Martina Schwager

Draußen vor dem Kindergarten "Heilige Familie" in Osnabrück zwitschern die Vögel, die Sommerblumen entfalten ihre Blütenpracht. Kinder rennen, schaukeln, klettern, bauen Burgen im Sand. Drinnen bereitet Josef Müller (Name geändert) liebevoll die Maltische vor. Er legt auf jeden Platz ein Blatt Aquarellpapier und Pinsel, stellt Farbdosen und Wasserbecher auf. Die Sonne scheint warm durch die Fenster. Wenn der 72-Jährige mit den Kindern malt, vergisst er, dass er todkrank ist.

Meistens denken auch die Fünf- und Sechsjährigen nicht daran. Sie strengen sich an, abzumalen, was er vorgezeichnet hat: Wale, Dinosaurier, Zeppeline, Düsenjets. Und sie hören zu, wenn Josef erzählt. Wie Zeppeline fliegen, oder warum Dinosaurier ausgestorben sind. Aber sie wissen auch, was Tim (6) ganz offen ausspricht: "Josef stirbt bald."

"Die Kinder bestimmen das Tempo"

Josef Müller hat Krebs im oberen Abschnitt der Bauchspeicheldrüse. Die Ärzte hatten ihm im Oktober erklärt, dass die meisten Patienten mit dieser Diagnose selten länger als ein Jahr überleben. Als er wegen verschiedener Untersuchungen, Krankenhausaufenthalte und einer Chemotherapie immer mal wieder fehlte, wollten die Kinder wissen, was Josef denn habe.

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Es sei richtig, mit den Kindern über Tod und Sterben offen zu reden, sagt Beate Alefeld-Gerges, leitende Mitarbeiterin im Trauerland Bremen, dem bundesweit ersten Zentrum für trauernde Kinder und Jugendliche: "Kinder haben da keine Berührungsängste." Für sie sei es hilfreich, wenn auch die Erwachsenen über den Tod als etwas Natürliches sprechen könnten.

Die Expertin plädiert dafür, das Thema in Kindergärten und Schulen fest zu verankern und zum Beispiel mit einem Gang über einen Friedhof zu verbinden. Dabei sei es besonders wichtig, auf Fragen und Einwände der Kinder einzugehen: "Die Kinder bestimmen das Tempo. Sie sollen wissen: Ich darf über alles reden, ich muss aber nicht." Dabei könne auch ein aktueller Krankheits- oder Todesfall den Anstoß geben. Zumal, wenn der Betroffene selbst den ersten Schritt gemacht hat.

Malstunden schon vor der Diagnose vereinbart

Die Erzieherinnen und später Josef Müller selbst haben den Kindern erklärt, dass Krebs eine schlimme Krankheit ist, und dass er daran sterben werde. "Wenn jetzt die Malstunde ausfällt, fragen sie schon mal, ob Josef schon tot sei", sagt Leiterin Petra Broxtermann.

Josef Müller war früher Werkzeugmacher und Maschinenbautechniker. Er war einige Jahre im Ausland und ist auf Schiffen über die Meere gefahren. Später hat er als technischer Kaufmann in Osnabrück gearbeitet. Er ist verheiratet, hat vier Söhne und drei Enkelkinder. "Ich hadere nicht mit meinem Schicksal. Angst habe ich nur vor großen Schmerzen", sagt er.

"Ich bin dankbar, dass ich dieses Alter erreicht habe", ergänzt der Rentner. Kurz bevor er die Diagnose bekam, hatte der Hobbykünstler mit dem Kindergarten die Malstunden vereinbart. Er kommt einmal pro Woche: "Ich hatte schon immer Freude daran, mit Kindern umzugehen." Jetzt genießt er die Zeit mit ihnen besonders.

Die Kinder reißen sich um seine Gesellschaft

Wenn Josef da ist, zählt für alle nur das Malen: "Im Moment geht es mir gut und ich denke oft gar nicht an die Krankheit." Immer lobt er, was die Kinder aufs Papier bringen: "Mensch, Rasmus, toll, dass dein Flugzeug so viele Fenster hat." Die Kinder reißen sich um seine Gesellschaft: "Josef erzählt tolle Geschichten", findet Claudia (5). Marisa (6) fragt staunend: "Josef, wie kannst du so gut malen?" Und Josef antwortet: "Ich bin ja schon alt. Da konnte ich viel üben."

Der katholische Kindergarten "Heilige Familie" hat eine besondere Lage: Die Gemeindekirche nebenan ist gleichzeitig Urnenbegräbnisstätte. Die meisten Kinder wissen, dass sich in den Nischen hinter den Messingplatten Urnen verbergen, mit der Asche verstorbener Menschen darin. Sie haben Trauergesellschaften erlebt. Einige wie Tim, haben schon über ihren eigenen Tod nachgedacht: "Wenn ich mal tot bin, will ich mit Mama in so eine Schublade."