Wenn Schüler nicht reden, sondern handeln

Foto: epd-bild/Gustavo Alàbiso
Wenn Schüler nicht reden, sondern handeln
"Soziales Lernen" liegt im Trend. Mädchen und Jungen übernehmen für sich und andere Verantwortung und verlassen für freiwillige Projekte den Schonraum Schule. Experten sind überzeugt: Hier wächst ein Gespür für gesellschaftliche Herausforderungen.
08.05.2013
epd
Verena Mörath

Immer mehr Schulen setzen Konzepte um, die Mädchen und Jungen altersgerecht in Projekte für das Gemeinwohl führen. Die Idee trägt viele Namen: "Verantwortungsunterricht", "Fach Verantwortung" oder etwa "Engagement lernen". Auch wenn sich die pädagogischen Ansätze unterscheiden, eines haben sie gemeinsam: die Kinder wachsen mit ihren Aufgaben.

In der Grundschule an der Marie in Berlin-Prenzlauer Berg, "ist das Ehrenamt noch ein Kind in der Wiege", erzählt Schulleiter Jürgen Stolze. Es wachse aber und solle bald in "Engagement Lernen" umgetauft werden. Für ihn ist der Einsatz für das Gemeinwohl eine "Reifeprüfung", die alle Sechstklässler machen sollten. Heute sei eine Gemeinschaftsorientierung für viele Kinder nicht mehr selbstverständlich.

Seniorenheim, Eine-Welt-Laden, Kita

Für die elfjährigen Schüler heißt es nicht reden, sondern handeln. Albrecht geht zum Zirkus Sonnenstich, den behinderte junge Erwachsene besuchen: "Ich mache ihnen Mut und unterstütze sie." Jule und Selma sind regelmäßig zu Gast in einem Seniorenheim. "Zuerst war ich sehr unsicher, aber jetzt habe ich keine Berührungsängste mehr", sagt Jule selbstbewusst. Andere Einsatzorte sind ein Eine-Welt-Laden, Kitas oder der eigene Schulgarten.

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Lehrerin Sabine Weiche gab vor vier Jahren die Anregung für die Einsätze. Heute betreut sie 20 Sechstklässler in ihrem Ehrenamt, das im Rahmen von Wahlpflichtkursen angeboten wird. "Die Kinder wachsen sehr an ihren Aufgaben", sagt die Pädagogin, die sich einmal im Monat mit den Kindern über ihr Engagement austauscht.

Franziska Nagy vom Netzwerk "Service-Learning - Lernen durch Engagement" bestätigt die Zunahme von sozialen Lernprojekten. Bewerten möchte sie die vielen Initiativen nicht: "Es sind unterschiedliche Ansätze mit unterschiedlichen Zielsetzungen." Manche legten eher Wert auf das Lernen, andere eher auf das Engagement. Service-Learning, auf Deutsch Lernen durch Engagement (LdE), sei eine Lehr- und Lernform, bei der sowohl das Engagement als auch das fachliche Lernen möglichst gleich gewichtet werden.

Egal ob Förderschule oder Wirtschaftsgymnasium

So könnte die Praxis aussehen: Werden im Fach Gesellschaftskunde Zuwanderung und Integration besprochen, setzen sich Schüler als Lernmentoren für Migrantenkinder aus ihrem Stadtteil ein. Steht in Biologie das Thema "Ökosysteme" an, dann legt die Klasse für ihre Gemeinde einen Naturlehrpfad an.

Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt - und das Konzept trägt überall Früchte, ganz gleich, ob an einer Förderschule oder an einem Wirtschaftsgymnasium. Wichtig sei, dass die Schüler bei der Entwicklung von Ideen beteiligt werden und sich nur dort engagieren, wo auch Bedarf sei. Zudem sollten die realisierten Projekte nach Abschluss selbstkritisch analysiert werden, rät Nagy.

Im bundesweiten Netzwerk "Service-Learning" mit seiner von der Freudenberg Stiftung finanzierten Geschäftsstelle in Berlin beteiligen sich heute mehr als 100 Schulen aus elf Bundesländern. 14 Kompetenzzentren beraten und begleiten die Schulen vor Ort bei der Umsetzung von Lern-Projekten.

Gespür für gesellschaftliche Herausforderungen

Ein anderer Akteur auf dem Feld des sozialen Lernens ist "sozialgenial - Schüler engagieren sich" des Vereins Aktive Bürgerschaft in Münster, der von der WZG Bank in Düsseldorf gefördert wird. Mit Hilfe dieser Initiative haben schon über zehn Prozent der Schulen in NRW Lernen durch Engagement in ihr Schulprogramm aufgenommen. Seit 2009 engagieren sich 25.000 Schüler ab der 5. Klasse in 900 Projekten.

"Die Rückmeldung ist sehr positiv. Viele Schulen wünschen sich heute nachhaltige Konzepte zur Demokratieförderung, auch um ihr Schulprofil zu schärfen", sagt Jutta Schröten, Projektleiterin bei der Aktiven Bürgerschaft.

Die "sozialgenial"-Initiative hat jüngst 1.200 Schülern zwischen zwölf und 17 Jahren befragt, die über die Schule ein ehrenamtliches Projekt gemacht haben. "Mehr als die Hälfte von ihnen war überzeugt, dass es wichtig ist, sich zu engagieren", berichtet Schröten. Sie ist überzeugt: In den Initiativen entwickeln Schüler ein Gespür für gesellschaftliche Herausforderungen.