Soviel Sonne du brauchst beim Schlussgottesdienst

Foto: epd-bild/Stefan Arend
Bei sonnigem Wetter kamen am Sonntag über 100.000 Besucher zum Schlussgottesdienst des Kirchentages in den Hamburger Stadtpark.
Soviel Sonne du brauchst beim Schlussgottesdienst
Mit einem Gottesdienst im Hamburger Stadtpark ist der 34. Deutsche Evangelische Kirchentag in Hamburg zu Ende gegangen. Der anglikanische Bischof Nicholas Baines aus Bradford ging in seiner Predigt auf das Kirchentags-Motto "Soviel du brauchst" ein und rief anhand der Vision des Propheten Micha zu einem Perspektivwechsel in der Konsumgesellschaft auf. Christen müssten dabei den Anfang machen.
05.05.2013
evangelisch.de

Dass Menschen ihr Glück im Materiellen suchen, ist nichts Neues. Egoismus und die Missachtung der Bedürfnisse anderer – das gab es schon zur Zeit des Alten Testamentes, im 8. Jahrhundert vor Christus in Israel. Der Prophet Micha prangert die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse an. Was er sagt, gehe auch uns heute an, so Bischof Baines, der seine Predigt in perfektem Deutsch hielt.

Der anglikanische Bischof Nicholas Baines hielt die Predigt beim Abschlussgottesdienst des Kirchentages

Offenbar habe sich in Sachen Konsum kaum etwas verändert: "Die Menschen verfügen über die verblüffende Eigenschaft, alles haben zu wollen, was sie sehen", so Baines. "Wie viel ist 'genug'? Wie viel, und wovon brauche ich, um zufrieden zu sein? Und ist 'zufrieden sein' das gleiche wie "glücklich sein'? Der Prophet Micha dachte über diese Dinge nach, lange bevor es iPhones, Designerjacken und Sportwagen gab."

Anders als man erwarten könnte, stellte der Prophet Micha damals kein politisches Programm auf, um die Verhältnisse zu verbessern. Sondern er schildert eine Vision: "Alle Menschen aus Israel und den Völkern werden unter ihrem eigenen Weinstock und unter ihrem Feigenbaum sitzen - niemand wird mehr Terror verbreiten." (Micha 4, Vers 5 in der Kirchentagsübersetzung). Wie sollen evangelische Christen in Deutschland diesen Text heute verstehen? Bischof Baines: "Die Bibel untergräbt unser Verständnis der Wirklichkeit und lädt uns ein, nein, fordert uns heraus - Gott, die Welt und uns anders anzusehen. Die Welt muss nicht so sein, wie sie jetzt ist!"

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Es geht um einen Perspektivwechsel in der Gesellschaft – in der Wirtschaft, in der Sicherheitspolitik und in sozialen Fragen. Es geht um die Vision einer "Welt, in der wir uns genügen lassen mit dem, was wir haben und in der unsere Nächsten zufrieden sein können, ohne dass wir Angst haben müssen." Die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse hat immer Auswirkungen auf andere, die dann möglicherweise zu wenig haben oder in unsicheren Verhältnissen leben. Man müsse "Rücksicht auf das Glück, die Erfüllung und Zufriedenheit dessen, den die Bibel meinen 'Nächsten' nennt" nehmen, so Bischof Baines. "Diese Vision geht davon aus, dass Individuen und Gemeinschaften, die sich von einer solch veränderten Vision anfeuern lassen, nur das nehmen, was sie brauchen und sich das versagen, was sie nicht brauchen."

Freundschaft zwischen den Konfessionen

Es war eine politische Predigt, die sich aber nicht in Appellen zum ethisch besseren Leben erschöpfte. Für den Propheten Micha war Gott derjenige, der die Menschen anleitet, ihnen Orientierung gibt. "Lasst uns hinauf zum Berge des HERRN gehen und zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir in seinen Pfaden wandeln!" heißt es in Micha 4, Vers 2. Das nahm Bischof Baines ernst. Insofern war seine Predigt ein Aufruf, Gottes Maßstäbe gelten zu lassen, seinen Wegen zu folgen: "Christen müssen mit einer solch erneuerten Vision beginnen."

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Dass Baines als Anglikaner die Predigt hielt, war eine große Ehre für ihn und ein Ausdruck der Freundschaft zwischen den Konfessionen. Mindestens genauso stark wirkte das Zeichen, das gleich zu Beginn des Gottesdienstes gesetzt wurde: Der griechisch-orthodoxe Erzpriester Georgios Manos betrat als erster Geistlicher die Bühne und rief der Gottesdienstgemeinde zu: "Christus ist auferstanden!" In seiner Kirche ist heute Ostersonntag. Georgios Manos zündete die Osterkerze an, und die Gemeinde antwortete: "Er ist wahrhaftig auferstanden!" Ostern können Christen ja getrost jeden Sonntag feiern – heute an diesem strahlenden Kirchentagssonntag in Hamburg allemal.

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Die Sonne knallte fast schon zu stark vom Himmel, einen Gottesdienst "unter Feigenbaum und Weinstock" hätte sich so mancher wohl nicht nur als Überschrift gewünscht. Etliche der über 100.000 Besucher im Stadtpark hatten sich ihre Kirchentagsschals um den Kopf geschlungen, der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider erschien mit Strohhut. Verwöhnt vom besten Wetter, das Hamburg zu bieten hat, ging der  34. Deutsche Evangelische Kirchentag zu Ende – fröhlich, aber auch nachdenklich – mit der Vision von einer gerechteren Welt im Rückreisegepäck.