Auszeit von der Diaspora

Die evangelisch-augsburgische St. Trinitatiskirche in Warschau
Foto: Tomasz "Nemo5576" Górny/wikipedia
Die Bevölkerung von Polen ist überwiegend katholisch. Eine der wenigen protestantischen Kirchen ist die evangelisch-augsburgische St. Trinitatiskirche in Warschau.
Auszeit von der Diaspora
Polnische Protestanten besuchen den Kirchentag in Hamburg
Der Kirchentag fällt dieses Jahr auf die erste Maiwoche, die in Polen durch zwei Feiertage gern für kleine Reisen genutzt wird. Mit welchen Erwartungen fahren polnische Diaspora-Evangelische nach Hamburg? Was wollen sie von dem größten Protestantentreffen Europas mit nach Polen nehmen? Drei Porträts.

Mehr Dialog: Przemyslaw Florjanowicz-Błachut

Offenheit und Bibelnähe begeisterten den jugendlichen Katholiken Przemyslaw Florjanowicz-Błachut damals bei einem lutherischen Gottesdienstbesuch in seiner westpolnischen Heimatstadt Gorzow. Er las darauf viel über die Geschichte der polnischen Protestanten und konvertierte mit 14 Jahren. Seitdem ist er Mitglied der evangelisch-augsburgischen Kirche, die Eltern hatten ihm die Wahl gelassen.

Przemysław Florjanowicz- Błachut, Jurist

Offenheit und Bibelnähe verspricht sich der heute 34-jährige auch vom Deutschen Evangelischen Kirchentag, den er zum ersten Mal besuchen wird. Über Menschenrechte und die Bekämpfung von Vorurteilen will er sich informieren. Das interessiert ihn als Jurist am Warschauer Hauptverwaltungsgericht. Und als Christ: Lutheraner in Polen sind vielleicht nicht direkt mit abwertenden Vorurteilen konfrontiert, eher mit Nicht-Wissen. Ob er denn vielleicht auch Weihnachten feiere, wurde schon gefragt. Von dieser Diaspora-Situation eine Auszeit zu nehmen und viele andere Protestanten zu treffen, darauf freut er sich.

Florjanowicz-Błachut, der sehr gut Deutsch spricht, würde gern auch erfahren, wie der Protestantismus die deutsche Gesellschaft prägt. Neben dem christlich-jüdischen Dialog interessiert er sich für den Stand der Ökumene in Deutschland. Dass dort die Kirchen gemeinsame Erklärungen verlesen, zeige, dass sie dialogfähiger seien als in Polen. Gespannt ist der Johanniter darum auf den gemeinsamen ökumenischen Gottesdienst mit dem Malteser Orden.

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Ja, er weiß – als Johanniter wird er in Deutschland klar als Konservativer geortet. Auch die polnischen Lutheraner haben diesen Ruf – schließlich haben sie die Frauenordination noch nicht eingeführt. Florjanowicz-Błachut, der ja bewußt zum Prostestantismus übertrat, sieht sich jedoch selbst eher als Liberalen, der sich eine gesellschaftlich engagiertere, rationalere Kirche wünscht. In der Losung "Soviel du brauchst" sieht er eine zeitgemäße Aufforderung zum Maßhalten.

Beeindruckt von der Offenheit: Elżbieta Byrtek

Elżbieta Byrtek freut sich auf Hamburg. Dort will sie ehemalige Studienkolleginnen und -kollegen aus verschiedenen Ländern treffen. Mit ihnen zusammen hatte sie bereits ihren ersten Kirchentag besucht. Das war vor 18 Jahren, ebenfalls in Hamburg.

Damals war sie zwar schon vom "Fach", sie war Stipendiatin für evangelische Theologie an der Universität Bonn. Doch unter einem Kirchentag konnte sie sich nichts vorstellen. Dass dann eine ganze Großstadt mit und für eine religiöse Veranstaltung lebte, viele Veranstaltungen in öffentlichen Einrichtungen stattfinden, war ein positiver Schock für sie. Aber auch das "Gegenteil" gefiel ihr – im Rahmen einer kirchlichen Veranstaltung auf dem Markt der Möglichkeiten durften sich nichtkirchliche Vereinigungen auff dem Kirchentag zeigen.

Elżbieta Byrtek, Katechetin

Die Katechetin aus Warschau beeindrucken besonders Auftritte deutscher Politiker auf dem Protestantentreffen. Diese könnten privat über ihren Glauben sprechen. In Polen würden die Volksvertreter vor allem ihre Position zur (katholischen) Kirche erklären, doch kaum persönlich von ihrem Glauben erzählen.

Die evangelische Kirche in Deutschland hingegen kommt ihr etwas kalt und unfreundlich vor, manchmal macht sich Elżbieta Byrtek auch zusammen mit anderen Evangelischen aus Spanien oder Italien über die deutsche Ordnungsliebe lustig. Doch dabei schwinge stets Respekt vor der Leistung mit, ein solches Großereignis überhaupt wahr machen zu können.

Gespannt ist sie auf die Auseinandersetzung mit dem Leitspruch "Soviel Du brauchst". Bei ihrer Arbeit als Katechetin stößt ihr auf, dass vielen Kindern und Jugendlichen alles zu wenig erscheint, auf nichts könne mehr verzichtet werden. Vielleicht kann sie wichtige Anregungen für sich selbst und für den Unterricht mit nach Warschau nehmen. Gern würde sie es sehen, wenn die polnischen Lutheraner in der polnischen Gesellschaft ebenfalls präsenter sein könnten, doch dies sei schon allein aufgrund ihrer geringen Anzahl (80.000) schwierig.

Kirche als Ort der Begegnung: Agata Skierska

Die Stadt Hamburg ist Anfang Mai für Agata Skierska unbedeutend. Das weiß sie schon im Voraus. Ein Sightseeingprogramm braucht sie nicht, obwohl sie sich sonst für Deutschland interessiert. Sie braucht – in Anspielung auf die Losung – den Kirchentag und damit viele Eindrücke, Inspirationen, Informationen, Begegnungen, Themen und Möglichkeiten. Als Reichtum für die nächsten zwei Jahre.

Agata Skierska, Assistentin in einem Unternehmen

Dabei war Agata Skierska vor ihrem ersten Kirchentag in München sehr skeptisch. Sie hatte zuvor mit 16 Jahren den Jugendkirchentag 2004 in Wiesbaden erlebt, der ihr wenig gefallen hatte: bei einem Popgottesdienst hätte die Kirche um die jungen Menschen mit "Coolness" gebuhlt. Doch den Kirchentag in München nahm sie dann als wirklichen Ort der Begegnung wahr. Jeder wirkte gesprächsbereit, offen und interessiert am Gegenüber. Die Vielfalt, in der sich die evangelische Kirche zeigte, dass sie sich auch mit Wirtschaft und Wissenschaft auseinander setzt, überraschte sie positiv. Interessant fand Agata Skierska, dass bei einigen Angeboten auf den ersten Blick nicht zu sehen war, welche Konfession dahinter stand. 

Auch die studierte Germanistin eröffnet einem neuen Gegenüber nicht gleich, dass sie evangelisch ist, beziehungsweise reformiert. Während sich bei Martin Luther viele etwas vorstellen können, wirkt ihre Konfession in Polen noch fremder. Agata Skierska muss dann viel erklären. Gerade mal 3000 Reformierte leben in Polen; dass Calvinisten mal das Land dominierten, ist 450 Jahre her und längst vergessen.

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Eine interessierte katholische Bekannte begleitet sie diesmal - dass sie ihr etwas vom Protestantismus zeigen kann und es nicht nur erklären muss, darauf freut sich Agata Skierska. Speziell interessiert sie das Thema Afrika und wie die Kirchen Behinderte integrieren. In Deutschland seien diese viel selbstverständlicher Teil der Gesellschaft und der Kirche. Einrichtungen wie ein Gebärdengottesdienst für Schwerhörige, den sie auf dem letzten Kirchentag besucht hat, würde sie gern in Polen sehen. Oder zumindest dort ein größeres Bewußtsein wecken, dass die Kirche, egal welcher Konfession, für alle da ist, dass Kirche ein Ort der Begegnung sein kann.