Die "Nachhaltigkeit" wurde im Wald erfunden

Foto: epd-bild/Stefan Arend
Die "Nachhaltigkeit" wurde im Wald erfunden
Die 300 Jahre alte Idee der Nachhaltigkeit hat eine steile Karriere gemacht
Ein sächsischer Beamter erfand vor 300 Jahren ein Leitprinzip, dem so mancher die Rettung der Welt zutraut: die Nachhaltigkeit. Weil es in seiner Heimat Sachsen kaum noch Wälder gab, führte Hans Carl von Carlowitz eine nachhaltige Methode in der Forstwirtschaft ein. Ein Beitrag zum "Tag des Baumes".
25.04.2013
epd
Joachim Wille

Für jeden gefällten Baum muss ein neuer nachwachsen, damit der Wald nicht verschwindet. "Nachhaltige Nutzung" nennt man das, für uns heute eine Selbstverständlichkeit. Vor 300 Jahren, als der Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz (1645-1714) das Wort "Nachhaltigkeit" für die Forstwirtschaft erfand, war das anders - und niemand hätte gedacht, dass das Konzept einmal die Blaupause für eine nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch und sozial tragfähige Entwicklung von Staaten und des ganzen Globus werden würde.

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Sachsen, wo Carlowitz 1645 als Sohn einer Adelsfamilie geboren wurde, war ein Land, in dem vor 300 Jahren fast keine Wälder mehr standen. Es herrschte eine große Energie- und Rohstoffkrise, als der hohe Beamte 1713 - ein Jahr vor seinem Tod - das Werk "Sylvicultura oeconomica oder haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur Wilden Baum-Zucht" veröffentlichte und erstmals das Prinzip der Nachhaltigkeit formulierte. Die Bevölkerung wuchs, man brauchte Holz für den Hausbau, zum Heizen und Kochen, rodete Wälder für Ackerflächen, trieb das Vieh zur Nahrungssuche in den Wald.

Doch auch für den Bergbau war der Rohstoff Holz entscheidend. Die Silbergerwinnung im Erzgebirge, die zu Carlowitz' Zeit das wirtschaftliche Rückgrat Sachsens darstellte, war in der Existenz bedroht. Der Ausbau der Gruben mit Traghölzern, der Erzabbau durch die Methode des "Feuersetzens", besonders aber der Schmelzofen-Betrieb mit Holzkohle gefährdete die umliegenden Wälder. Sie waren jahrhundertelang übernutzt worden. Die Umgebung der Städte im Erzgebirge war weitgehend kahl.

Nur soviel schlagen wie nachwächst

Carlowitz, der Bergbau-Experte, erkannte: Wenn so weiter gewirtschaftet wird, gibt es bald keinen Wald, also auch kein Holz mehr. In seinem forstwirtschaftlichen Buch empfahl er eine "continuierliche und nachhaltige Nutzung" als Ausweg. Als "nachhaltige Forstwirtschaft" wurde der Begriff schnell zu einem Fachterminus. Es sollte nur so viel Wald geschlagen werden wie nachwächst. Carlowitz hatte so den Grundstein für die deutsche Forstwirtschaft gelegt.

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Allerdings war es dann gerade der Raubbau an anderen Ressourcen, Torf und später Kohle, der half, die "Nachhaltigkeit" im Forst zu etablieren: Die Nutzung fossiler Energien als Brennmaterial erlaubte es, den Waldbestand zu schützen und neue Forste hochzuziehen.

"Mit der Kohle begannen die Industrieländer, sich wie Energie-Junkies zu verhalten, erst Stein- und Braunkohle, dann Erdöl und Erdgas, bis hin zur Kernenergie", sagt heute der Umweltexperte und Ex-Bundesforschungsminister Volker Hauff (SPD). "Nachhaltigkeit spielte dann 250 Jahre lang keine Rolle."

Wirtschaft und Umwelt versöhnen

Hauff war Mitglied der UN-Kommission für Umwelt und Entwicklung, die 1987 in ihrem Bericht "Unsere gemeinsame Zukunft" den Begriff der "nachhaltigen Entwicklung" prägte. Sie holte damit den Begriff Nachhaltigkeit in die Weltpolitik - ohne freilich ausdrücklich Bezug auf Carlowitz zu nehmen.

"Das Ziel war, Wirtschaft und Umwelt zu versöhnen", sagt Hauff. Ökonomie, Ökologie und Soziales müssten als gleichwertig betrachtet werden - so lautete die Hauptforderung des Berichts, der nach der Kommissions-Vorsitzenden Gro Harlem Brundtland benannt wurde. Er definiert Entwicklung als "Entwicklung, die die Bedürfnisse der gegenwärtigen Generationen befriedigt, ohne die Fähigkeit künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen".

Danach macht die "Nachhaltigkeit" (englisch: sustainability, französisch: durabilité) eine steile Karriere: Auf dem Weltgipfel von Rio de Janeiro 1992 erhoben mehr als 190 Staaten sie zum Leitprinzip der globalen Entwicklung. Die damals erarbeiteten Konventionen zum Schutz des Weltklimas und der biologischen Vielfalt sowie die "Agenda 21" waren wichtige Schritte.

Treibende Kräfte sind Bürgergruppen und Genossenschafen

Doch die Aufbruchsstimmung, die beim "Erdgipfel" nach dem Ende des Kalten Krieges geherrscht hatte, hielt nicht lange. Letzte Hoffnungen auf eine Renaissance der "Nachhaltigkeit" zerstoben auf dem Gipfel "Rio plus 20" im vergangenen Juni: Der Klimawandel ist ungebremst, die Artenvielfalt schrumpft weiter, effektive globale Strategien zum Schutz von Wäldern, Böden und Wasser fehlen.

Hauff zieht trotzdem keine völlig negative Bilanz: "Die Politik hat zwar versagt, hier herrscht Stillstand oder gar Rückschritt." Viel besser sehe es aber bei den Unternehmen und in der Zivilgesellschaft aus. "Es gibt kein Dax-Unternehmen, dass sich nicht mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt."

Wirklich treibende Kräfte beim Thema Nachhaltigkeit seien jedoch die Bürgergruppen und Genossenschaften, die sich zum Beispiel für die Energiewende engagieren. "In Deutschland haben wir bereits über 600 davon", sagt Hauff. Auf solchen Bürgersinn und Elan könne die Politik aufbauen. Sie müsse nur wollen.