Kritik oder Vorurteil? Augstein, die Medien und Israel

Foto: dpa Picture-Alliance/Hartmut Mueller-Stauffenberg
Die israelkritischen Aussagen von "Freitag"-Herausgeber Jakob Augstein führten dazu, dass er vom Simon-Wiesenthal-Center als einer der schlimmsten Antisemiten der Welt eingestuft wurde.
Kritik oder Vorurteil? Augstein, die Medien und Israel
Der Fall Jakob Augstein hat für Aufsehen gesorgt, als das Simon-Wiesenthal-Center in Los Angeles ihn auf seine Liste der zehn schlimmsten Antisemiten der Welt gesetzt hat. Deutsche Medienvertreter haben sich darauf hin prominent hinter Augstein gestellt. Ist die deutsche Presse deshalb durchweg antisemitisch? Belegen lassen sich solche Behauptungen nicht.

Für den Hamburger Politikwissenschaftler Matthias Küntzel steht der deutsche Journalist Jakob Augstein jedenfalls zurecht auf der Liste der weltweit zehn schlimmsten Antisemiten des Simon-Wiesenthal-Centers. Auch dass Augstein sich für seine Äußerungen nicht entschuldigt, hält Küntzel für skandalös.

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"Wenn Sie sich die Äußerungen von Augstein genau anschauen, dann stoßen Sie auf eine Menge  Anspielungen und Phantasien, die Bilder des Antisemitismus wachrufen. Es sind Bilder von kommandierenden Israelis und sich duckenden Deutschen, von infam lachenden Juden und ausgelachten Deutschen oder dass Israel den Weltfrieden bedrohe, was geradezu als Offenbarung zelebriert worden ist", sagt Küntzel. Er kritisiert auch die Reaktion der deutschen Presse, die Augstein "reflexhaft und leidenschaftlich" in Schutz genommen habe, statt die jüdische Kritik aus Amerika ernst zu nehmen.

"Natürlich konnte man über die Simon-Wiesenthal-Zentrum-Liste unterschiedlicher Meinung sein. Man konnte sich genau informieren und die Sache kommentieren. Aber das ist ja nicht geschehen. Sondern Augstein wurde geradezu reflexhaft und leidenschaftlich sofort in Schutz genommen", beklagt Matthias Küntzel.

Viele namhafte Journalisten, von der FAZ bis zur taz, hätten sich mit Augstein solidarisiert. Augstein wurde als Opfer gesehen, der nun vom Simon Wiesenthal Center für vogelfrei erklärt worden sei, wie es etwa im Berliner Tagesspiegel zu lesen war. Und die taz beklagte, wer Israel kritisiere, der werde mit der Antisemitismus-Schrotflinte beschossen. Der taz-Kommentar lautete "Wir Antisemiten!" und der Tagesspiegel-Autor wollte demonstrativ auch auf die Antisemiten-Liste gesetzt werden.

Das Internet als "Frontlinie der Terroristen"

Rabbi Abraham Cooper vom Simon-Wiesenthal-Center ist sich in dieser ganzen Debatte sicher, dass seine Entscheidung richtig war, Jakob Augstein auf die Top Ten-Liste der schlimmsten Antisemiten gesetzt zu haben. Denn wer ultra-orthodoxe Juden mit radikalen Islamisten auf eine Hassstufe setze, habe eben keine Ahnung vom Nahen Osten, sagt Cooper. Selbst die fanatischsten Juden würden eben keine Selbstmordattentate verüben. Aber solches Gedankengut fände über die Internet-Präsenz der deutschen Medien weltweit Verbreitung und werde von Radikalen unter Umständen begeistert aufgegriffen.

"Das Internet ist heute die Frontlinie der Terroristen, um die antijüdische Propaganda zu verbreiten", erklärt Rabbi Cooper sein Engagement. Der Rabbi kritisiert, dass die deutsche Presse keine klare Trennlinie zwischen Kritik an der israelischen Politik und dem Denken und Schreiben in antijüdischen und damit antisemitischen Stereotypen kenne.

"Diese stereotypen Denkmuster bestimmen nicht den Journalismus"

Die Meinung des jüdischen Theologen aus Los Angeles wird von deutschen Medien nicht geteilt. Die beiden Journalistenverbände dju in ver.di und DJV, die die meisten der rund 70.000 Journalisten in Deutschland vertreten, kritisieren die Aussagen des Simon-Wiesenthal-Centers. Dass sich gerade die deutschen Kollegen besonders eifrig in der Kritik Israels üben und dabei, bewusst oder unbewusst, antisemitische Denkmuster verwenden, sei nicht zu belegen.

"Natürlich gibt es diese stereotypen Denkmuster. Aber diese stereotypen Denkmuster bestimmen nicht den Journalismus in Deutschland. Und es wäre auch verheerend, wenn es so wäre. Journalisten sind sehr wohl in der Lage zu einem differenzierten Bild des Staates Israel und seiner Politik. Ich erkenne nicht, dass es da nur noch mit Klischees für oder gegen Israel vonstatten geht", sagt Hendrik Zörner, Pressesprecher des djv.

"Es gibt für mich kein Indiz und keinen Beleg. Niemand kann mir hier eine Mappe auf den Tisch legen und nachweisen, dass über Israel mehr oder in einem kritischeren Ton berichtet wird als beispielsweise über Russland unter Putin oder über die Auseinandersetzungen, die wir in Syrien derzeit erleben. Ich kann keine weit verbreiteten antisemitischen Strömungen oder Tendenzen seitens der deutschen Presse erkennen", bestätigt auch Cornelia Haß, Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union dju in ver.di.

DJV: Kritik an Politik auch ohne Antisemitismus möglich

Matthias Küntzel sieht das anders. Er fordert "Wachsamkeit" angesichts der "Bedrohung Israels durch den globalen Antisemitismus": "Ich hoffe, dass nun die eigentliche Diskussion über Journalismus und Antisemitismus beginnt", fordert Küntzel. Eine Diskussion, die aus Sicht der Journalisten schon längst im Gange ist und zugleich Kritik am politischen Israel dennoch ermöglicht.

"Für die Journalistinnen und Journalisten gilt das Gleiche wie für alle anderen Deutschen auch: Wir haben aufgrund des Holocaust eine besondere Verantwortung", sagt DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken. "Dieser Verantwortung kann aber nur gerecht werden, wer sich kritisch mit der Politik und den Entwicklungen im Nahen Osten auseinandersetzt. Das ist weit entfernt von Antisemitismus."