Der Mullah, der aus der Kälte kam

Foto: dpa/Rahat Dar
Tahirul Qadri, prominenter religiöser Führer, bei einer öffentlichen Ansprache in Lahore, Pakistan, am 23. Dezember 2012.
Der Mullah, der aus der Kälte kam
Aus Kanada zurückgekehrt, ruft der Koranprediger Qadri zum Sturz der Regierung in Pakistan auf. Mit feurigen Reden mobilisiert er die Massen. Seine Ziele sind widersprüchlich: Er lobt die Demokratie, ruft aber auch nach dem Militär.
17.01.2013
epd
Agnes Tandler

Er hat über 600 Bücher geschrieben, und Millionen Menschen in Pakistan verehren den feurigen Koran-Prediger. Doch von der Politik hat sich der 61-jährige Tahir ul-Qadri stets fern gehalten. Bis vor kurzem zumindest: Vor einem Monat kehrte der Mullah nach sieben Jahren überraschend aus Kanada in seine Heimat zurück, um plötzlich mit seiner Bewegung "Tahrik Minhaj ul-Quran" die politische Szene des islamischen Landes aufzumischen.

Belagerung des Regierungsviertels von Islamabad

Mit rund 20.000 Anhängern belagert er seit Tagen das sonst schwer bewachte Regierungsviertel von Islamabad, um die "Verbrecher, Plünderer und Diebe" zu stürzen, die Pakistan regieren. Seine Brandreden gegen korrupte Eliten und ein marodes Staatswesen mobilisieren die Massen. Die Regierung ist ohnehin schwer unter Druck. Am Dienstag hatte das Oberste Gericht Haftbefehl gegen Premierminister Raja Pervez Ashraf wegen Korruption erlassen. Wo er sich aufhält, ist unklar.

Der 1951 in der Punjab-Provinz von Pakistan geborene Religionsgelehrte, besuchte eine christliche Schule, studierte und promovierte später an der Punjab-Universität in Lahore islamische Theologie. Sein plötzliches Erscheinen auf der politischen Bühne nährt Spekulationen, dass Qadri von der mächtigen Armee und von den Amerikanern gefördert wird. Kritiker witzelten schon, er sei "eine politische Drohne", in Anspielung auf den Krieg, den die USA seit 2004 mit unbemannten Flugzeugen gegen Taliban- und Al-Kaida-Kämpfer in Pakistan führt.

Qadri gefällt dem Westen

In der Tat ist Qadri außerhalb von Pakistan vor allem für seine 600-seitige Fatwa gegen den Terrorismus bekanntgeworden. Den religiösen Bannspruch erließ der Geistlicher aus der Barelvi-Schule des Islams 2010. Die Barelvis (Sufis) stehen für eine mystische Auslegung des Islams, wie er in Südasien verbreitet ist. Barelvis beten Heilige an und verehren deren Schreine. Gerade die Amerikaner haben in den vergangenen Jahren versucht, diese Islam-Schule zu stärken, um radikalen Islamisten wie den Taliban das Wasser abzugraben.

"Vieles, was Qadri sagt, gefällt dem Westen", erklärt Thomas Gugler vom Zentrum für Islamische Theologie der Universität Münster. Als kanadisch-pakistanischer Staatsbürger preist Qadri seine Wahlheimat Kanada als "Himmel auf Erden", wo er mit seiner Frau und seinen fünf Kindern in der Nähe von Toronto bis vor einem Monat zurückgezogen lebte. "Ich will wenigstens die pakistanische Gesellschaft auf den gleichen Weg bringen wie die kanadische", beschreibt er seine Vision für Pakistan. Er liebe zudem den Kaffee der kanadischen Kette Tim Hortons.

Eine widersprüchliche Figur

Doch Qadri ist eine widersprüchliche Figur: Der Mullah unterstützte Militärherrscher Pervez Musharraf in seinem Putsch gegen die demokratische Regierung 1999. Auch seine Haltung zu Pakistans harschem Blasphemie-Gesetz, das Gotteslästerung mit dem Tod bestraft, ist alles andere als moderat. Während er in englischer Sprache betont, dass die Gesetze nur auf Muslime anzuwenden seien, predigt er in der pakistanischen Landessprache Urdu die Todesstrafe für alle Gotteslästerer.

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Qadri gelobt eine "demokratische Revolution", fordert aber gleichzeitig die Beteiligung des Militärs an einer Übergangsregierung, die die Regierung in Islamabad ab sofort ersetzen soll. Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte Pakistans, dass die Armee auf religiöse Kräfte setzt, um eine demokratische Regierung aus dem Amt zu jagen. Schon Premierminister Zulfikar Bhutto musste 1977 nach massiven Straßenprotesten von Barelvis seinen Posten räumen. Welche Rolle Qadri auf der politischen Bühne in Islamabad spielt, ist noch nicht ausgemacht.