Braucht Deutschland bewaffnete Streitkräfte?

Braucht Deutschland bewaffnete Streitkräfte?

###mehr-personen### Soll sich die Bundesrepublik als "Zivilmacht" orientieren, oder brauchen Politik und Diplomatie in der heutigen Welt ein "militärisches Rückgrat", um sich wirksam an der Eindämmung und Verhinderung von Konflikte zu beteiligen? Auch wenn der alte Slogan "Frieden schaffen ohne Waffen" einen schönen Wunschtraum zum Ausdruck bringt, kann man sich Wehrlosigkeit als sicherheitspolitisches Konzept schwer vorstellen. In der Konsequenz braucht auch Deutschland Streitkräfte mit moderner Bewaffnung und eine leistungsfähige Rüstungsindustrie.

Nötig ist aber auch eine vertiefte Einsicht in die Rolle des Militärischen im staatlichen und internationalen Handeln. In "postheroischen" Gesellschaften (Herfried Münkler), zumal der deutschen, ist erfreulicherweise jede Kriegslüsternheit verschwunden. Aber die Bereitschaft, für Frieden, Freiheit und äußere Sicherheit Anstrengungen zu unternehmen und Opfer zu bringen, ist ebenfalls schwach ausgeprägt. Jüngst bescheinigte ein Autor den Deutschen "sicherheitspolitischen Analphabetismus". Beigetragen haben dazu neben der historisch bedingten Kriegsaversion die Sorge der politischen Führung, bei der öffentlichen Meinung anzuecken, sowie jahrelange Ehrlichkeitsdefizite und Vermeidungsrhetorik hinsichtlich des Afghanistaneinsatzes.

"Ultima ratio" bedeutet nicht "letztes", sondern "äußerstes" Mittel

Zwar steht eine gewisse "Kultur militärischer Zurückhaltung" Deutschland wohl an, nie wird es so interventionistisch sein wie die USA, Großbritannien oder Frankreich. Und für kein sicherheitspolitisches Problem gibt es heute eine militärische "Lösung". Andererseits scheinen manche Verfechter "politischer Lösungen" jeglichen militärischen Beitrag auszuschließen. Zumindest gegenüber bestimmten Akteuren schwächt das die Diplomatie.

Wie Clausewitz lehrt, hört die Politik nicht auf, wenn sie sich militärischer Mittel bedient. Einsatz militärischer Gewalt als "ultima ratio" bedeutet nicht "letztes" Mittel (nach Versagen aller anderen), sondern "äußerstes" Mittel. Dessen frühzeitige, dosierte Anwendung bzw. glaubwürdige Demonstration kann bisweilen Schlimmeres verhindern. Auf dem Balkan hätte 1991 Milosevic mit sehr begrenztem militärischem Einsatz oder auch nur dessen entschlossener Androhung Einhalt geboten werden können. Stattdessen wurde er in der Sicherheit gewiegt, militärisch habe er nichts zu befürchten. Vier Jahre später musste doch interveniert werden - um einen viel höheren Preis, und Hunderttausende hatten inzwischen Leben oder Heimat verloren.

Militärische Fähigkeiten und NATO-Mitgliedschaft sind eine Versicherungspolice

Gewiss sind militärische Interventionen problematisch. Aus Afghanistan, Irak, Libyen müssen Lehren gezogen werden bezüglich Legitimation, Aussichten und Fehlern. Regimesturz ist noch nicht "Regimewechsel", Demokratie kein Exportartikel. Und noch stets sind die Anforderungen der Wiederaufbauphase nach Interventionen unterschätzt worden. Aber die jüngste Geschichte kennt auch versäumte Interventionen - Nichthandeln kann ebenfalls schuldig machen. Die von den Vereinten Nationen proklamierte "Schutzverantwortung", im Fall Libyen erstmals Grundlage einer Resolution des Sicherheitsrats, ist zwar ebenfalls problembehaftet, aber prinzipiell bedeutet sie einen völkerrechtlichen Fortschritt. Mit welcher Mischung aus politischen und militärischen Mitteln sie künftig zu implementieren ist, bedarf gründlicher konzeptioneller Debatte.

Deutschland ist mitverantwortlich für die globale Sicherheit. Diese Mitverantwortung muss erklärt werden. Die Gesellschaft muss eine Vorstellung davon haben, was es bedeutet, Soldaten in den Einsatz zu schicken. Noch schwieriger ist es zu verdeutlichen, dass auch heute "Schutz Deutschlands und seiner Bürger" (früher "Landesverteidigung") erforderlich ist, selbst wenn Deutschland nun von Freunden und Partnern umgeben ist - was übrigens nicht für die NATO als Ganzes gilt. Militärische Fähigkeiten und NATO-Mitgliedschaft sind eine Versicherungspolice, die das Aufkommen neuer Bedrohungen sogar vorsorglich verhindern kann. Und die von Deutschland jahrzehntelang in Anspruch genommene Bündnissolidarität mag in einem Fall der Bündnisverteidigung auch von uns einmal eingefordert werden. Zugleich trägt das Land in der Mitte Europas eine besondere Verantwortung für die "Grundstabilität" des Kontinents – hinsichtlich kooperativer Sicherheitspolitik und militärischer Fähigkeiten.

Aus all diesen Gründen braucht unser Land flexibel einsetzbare, gut ausgebildete und modern ausgerüstete Streitkräfte. Das bedingt eine qualifizierte Rüstungsindustrie (die zunehmend mit den Industrien verbündeter Länder kooperieren sollte) und auch die Beteiligung an neuen Entwicklungen wie den zurzeit kontrovers diskutierten unbemannten Flugkörpern (als Aufklärungs- oder auch Kampfdrohnen) einschließt.