Kim, die twitternde Eiche in Erlangen

epd-bild/Michael Müller-Jentsch
Cathrin Meinardus von der Friedrich-Alexander Universität in Erlangen im botanischen Garten vor der Stieleiche "Kim".
Kim, die twitternde Eiche in Erlangen
Millionen Menschen auf der Welt haben ihre eigenen Facebook-Seiten oder twittern. Aber Bäume sind in den sozialen Netzwerken eher selten. In der Universitätsstadt Erlangen steht ein solches Exemplar: Eine twitternde Eiche namens "Kim".
24.04.2012
epd
Charlotte Mack

"Frühling, ja du bist's! Dich hab' ich vernommen!", zwitschert es aus dem Botanischen Garten Erlangen. Es sind nicht die Vögel, die nach dem langen Winter zu hören sind. Hier "zwitschert" ein Baum, versendet also Nachrichten über die Internetplattform Twitter. Erlanger Wissenschaftler haben der Stieleiche "Kim" vor einem Jahr eine Stimme gegeben, über Facebook und Twitter. Sie möchten damit auf die Situation deutscher Bäume in Großstädten aufmerksam machen. Mit einer Wetterstation und moderner Technik messen die Forscher beispielsweise Windgeschwindigkeit, Temperatur und Niederschlag. Die Ergebnisse werden dann unmittelbar über das Internet versendet. Etwa am 20. März, da schien die Sonne warm auf die zerfurchte Eichenborke. Die Luft war rein und klar und der Himmel wolkenlos. Die Temperaturen kletterten von 13 auf 17 Grad. "Was für ein Tag, um ein Baum zu sein", jubelte Kim im Internet.

Die meisten Tweets sind keine trockenen Wettermessungen, sondern werden von dem Journalisten Daniel Lingenhöhl verfasst. Denn das Projekt des "Talking Tree" wurde vom Wissenschaftsmagazin "Spektrum der Wissenschaft" und der Universität Erlangen aufgebaut. "Im Prinzip ist der Baum ein Botschafter für die Umwelt und Natur", erklärt Lingenhöhl. "Wir möchten die Generation Internet mit der Natur versöhnen."

Jüngere Menschen für die Umwelt sensibilisieren

Wissenschaftlich betreut wird Kim von den Erlanger Geografie-Doktoranden Cathrin Meinardus und Philipp Hochreuther. Sie warten und verwalten die Datensätze. "Wir versuchen zu verstehen, welche Prozesse gerade in dem Baum ablaufen", sagt Meinardus. Durch den Klimawandel ändert sich auch Kims Lebensraum: Die Eiche muss mit wärmeren Temperaturen, intensiveren und häufigeren Trockenzeiten zurechtkommen.

"Das Hauptziel des Projekts ist es, Interesse zu wecken", sagt Meinardus. "Unsere Zielgruppe ist die jüngere Generation. Wir wollen sie für die Umwelt sensibilisieren." Für grüne Städte der Zukunft ist das entscheidend. Denn Bäume in der Stadt stehen unter permanentem Stress.

"Zusammen mit den Folgen des Klimawandels führt es zu gravierenden Problemen", sagt Christoph Rullmann, Geschäftsführer der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, die jedes Jahr am 25. April den Tag des Baumes begeht. "Langfristig gesehen kann es zum Absterben der Bäume kommen." Den Stadtbäumen fehle Wasser und Platz, häufig litten sie unter mechanischen Beschädigungen und Streusalz im Winter.

Der Baum muss zum Klima passen

"Die Konsequenz ist, dass unsere Stadtbäume anfällig werden für Schadorganismen wie Insekten oder Pilze", erklärt Rullmann. Die erkrankten Stadtbäume benötigen mehr Pflege: Kranke Bäume wie zum Beispiel Platanen verlieren stark an Laub und Ästen - sie benötigen einen speziellen Beschnitt.

Vor dem Pflanzen eine Stadtbaumes muss gut überlegt werden: Hat der Baum genügend Licht, Wasser und Raum für seine Wurzeln? Entscheidend ist, dass bei der Pflanzung die richtige Baumsorte ausgewählt wird. "Der Baum muss sich in sein Umfeld einpassen können", sagt Rullmann. Für jedes Klima und jede Region Deutschlands gebe es inzwischen eigene Baumzüchtungen.

Doch welcher Baum ist für welche Stadt der richtige? Die Deutsche Gartenamtsleiterkonferenz hat in diesem Jahr neue Empfehlungen auf ihrer Internetseite gegeben. Eine interaktive Landkarte für Städte von Rostock bis München zeigt, welche Baumsorten regional und klimatechnisch optimal angepasst sind. Für Dresden empfiehlt die GALK so beispielsweise Magnolien, für München die "New-Horizon Ulme".

Für den Erlanger "Talking Tree" kommen solche Angebote zu spät. Steht sie doch schon seit 150 Jahren im Botanischen Garten. Das Ziel, auf die Lage der Bäume in der Stadt aufmerksam zu machen, haben die Wissenschaftler aber bereits erreicht: Auf Twitter "folgen" dem Talking Tree mehr als 2.000 Nutzer, und auf Facebook haben inzwischen schon über 15.000 Leute auf "Gefällt mir" geklickt.