Verbandschef Fürst: Antisemitismus dramatisch gestiegen

Verbandschef Fürst: Antisemitismus dramatisch gestiegen
Kippa am Tag kein Problem, nachts lieber nicht: Verbandschef Michael Fürst schildert neue Unsicherheiten für Juden und warnt vor einem drastischen Stimmungswandel: Seit dem 7. Oktober habe offener Antisemitismus spürbar zugenommen.

Wolfenbüttel, Hannover (epd). Der öffentlich geäußerte Antisemitismus, besonders mit Blick auf Israel, ist nach Einschätzung von Michael Fürst, dem Vorsitzenden des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Niedersachsen, in einem für ihn unvorstellbaren Maß gestiegen. „Ich bin hier in Hannover in einer großen Offenheit aufgewachsen, die es heute so nicht mehr gibt“, sagte Fürst dem Magazin „Evangelische Perspektiven“ der braunschweigischen Landeskirche. Seit dem 7. Oktober 2023, dem Tag des Terrorangriffs der islamistischen Hamas aus dem Gazastreifen auf Israel, habe sich die Lage dramatisch verändert.

Zwar habe er keine Probleme, mit einer Kippa durch Hannover zu laufen, sagte Fürst. Er wisse aber nicht, was passieren würde, wenn er mit der traditionellen jüdischen Kopfbedeckung nachts durch ein sogenanntes Araberviertel am Rande der Innenstadt laufe. „Aber das würde ich ohnehin nicht tun, würde es auch meinen Töchtern nicht empfehlen.“

Keine Gewalttaten

Der Anstieg von antisemitischen Vorfällen habe vor allem mit den Medien und mit dem Angriff der Hamas zu tun, sagte Fürst. Es handele sich meist um verbale Ausfälle im Internet, keine physischen Gewalttaten. „Das heißt, man muss genau hinsehen und differenzieren“, unterstrich Fürst. Die Gemeinden in Niedersachsen hätten bis auf den Brandanschlag auf die Oldenburger Synagoge keine antisemitischen Angriffe zu verzeichnen.

Nach Einschätzung der Polizei sei eine ständige Bewachung von Synagogen nicht nötig, sagte Fürst in dem Interview, das vor dem antisemitischen Anschlag am Bondi Beach in australischen Sydney geführt wurde. Er halte nichts davon, Firmen zu beauftragen, die bewaffnetes Sicherheitspersonal vor den Gotteshäusern postierten. „Wir wollen und müssen ein offenes Haus sein.“ Entscheidend sei aber, dass an den Eingängen kontrolliert werden könne und müsse.

Plädoyer für Zweistaatenlösung

Fürst äußerte sich skeptisch gegenüber größeren Hoffnungen auf ein absehbares friedliches Miteinander zwischen Israelis und Palästinensern. Das liege nicht nur an der palästinensischen Hamas, sondern auch an der israelischen Siedlerbewegung. Diese seien „jüdische Terroristen.“ Er selbst halte eine Zweistaatenlösung für gerechter, für die sich hierzulande zu wenige jüdische Vertreter einsetzten.