Osnabrück, Mainz (epd). Die Bildungsexpertin Simone Ehmig warnt davor, Handys und Tablets im Kleinkind- und Grundschulalter zu verbieten. „Wir dürfen uns nicht durch eine Pauschalverurteilung der digitalen Medien aus der Verantwortung stehlen“, sagte die Kommunikationswissenschaftlerin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Verbote zeugten eher von Hilflosigkeit. „Stattdessen sollten Kinder schon in der Kita lernen, dass sie auf dem Tablet auch Bilderbücher anschauen, Geschichten lesen oder Musik hören können.“
Nahezu alle Eltern nutzten heutzutage Handys, Computer und Tablets. Die Kinder beobachteten ihre Eltern dabei von klein auf, erläuterte die Mitbegründerin des Netzwerks Leseforschung und langjährige Leiterin des Instituts für Lese- und Medienforschung der Stiftung Lesen. „Der Umgang mit den digitalen Medien ist die Lebenswelt der Kinder. Deshalb wäre es wirklichkeitsfremd und würde ihren Reiz eher noch erhöhen, wenn diese Geräte für die Kleinen tabu wären.“
Kitas und Grundschulen sollten Lese- und Medienkompetenz schulen
Digitale Geräte sollten Kindern aber nicht zur selbstständigen Nutzung überlassen werden, betonte Ehmig, die an den Universitäten Mainz und Berlin lehrt. Eltern sollten vielmehr mit ihnen zusammen auf dem Handy lesen, altersgerechte Spiele spielen oder Hörspiele hören.
In Kita und Grundschule müsse die Schulung von Lese- und Medienkompetenz Hand in Hand gehen. Wichtig sei dabei auch die Einbeziehung der Eltern. Ehmig empfiehlt angesichts des Fachkräftemangels in den Kitas, mehr freiwillig Engagierte, Vereine und Bibliotheken in die Leseförderung der Kinder einzubeziehen. Die Professorin koordiniert bundesweit Projekte zu Veränderungsprozessen in Bildungseinrichtungen.
Wir müssen den Lesebegriff vom Sockel holen
Der Bildungserfolg der Kinder hänge in Deutschland noch immer vor allem vom Bildungsstand der Eltern ab, kritisierte Ehmig. „Wenn Mütter und Väter wenig lesen oder es nicht so gut können, sind in den Haushalten meist nur wenige Bücher, kaum Zeitungen oder andere Lesemedien vorhanden.“ Die Eltern seien dann kaum als Lesevorbilder sichtbar. Sie läsen selten vor oder erzählen Geschichten. „Das ist kein böser Wille. Sie wissen es häufig nicht besser oder trauen es sich nicht zu, auch weil viele es in der eigenen Kindheit nicht erlebt haben.“ Dieser Kreis müsse durchbrochen werden.
Ehmig hält die Erhebung des Sprachstands von Kindern im Vorschulalter und eine gezielte Begleitung und Förderung der noch nicht so fitten Kinder für sinnvoll. „Zudem müssen wir den Lesebegriff vom Sockel holen“, der in der Öffentlichkeit zu eng auf Literatur und Kultur konzentriert werde, forderte die Wissenschaftlerin. Erwachsene mit geringen Basiskompetenzen hätten oft den Eindruck, Lesen sei nur etwas für gebildete Menschen.



