Sozialpsychologe Keupp: Hilfen für frühere Heimkinder reichen nicht

Sozialpsychologe Keupp: Hilfen für frühere Heimkinder reichen nicht
Heimkinder der Nachkriegszeit haben bis in die 70er Jahre hinein teils Schlimmes erlitten. Mindestens jedes dritte habe auch sexualisierte Gewalt erlebt, sagt der Sozialpsychologe Heiner Keupp. Die Erlebnisse prägen ihr Leben bis ins hohe Alter.
08.12.2025
epd
epd-Gespräch: Karen Miether

Oldenburg, München (epd). Der Münchner Sozialpsychologe Heiner Keupp sieht noch große Lücken in der Aufarbeitung des Schicksals ehemaliger Heimkinder in Deutschland. Mindestens ein Drittel von ihnen habe neben körperlicher und psychischer Gewalt auch sexualisierte Gewalt erlebt, sagte Keupp im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Folgen seien bisher kaum berücksichtigt worden, unterstrich der Sozialpsychologe von der unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs.

Nötig sei aus Sicht der Kommission auch eine bessere Versorgung im Alter für ehemalige Heimkinder, die inzwischen das Rentenalter erreicht haben. „Für sie ist die Vorstellung, erneut in einer Heimeinrichtung leben zu müssen, eine enorme Belastung“, unterstrich Keupp. Deshalb müsse es eine fachlich gute Beratung zu Alternativen geben und entsprechende Leistungen müssten bereitgestellt werden. „Als Aufarbeitungskommission finanzieren wir deshalb ein Forschungsprojekt zu Versorgungsmöglichkeiten ehemaliger Heimkinder im Alter.“

Fonds ist ausgelaufen

Zwar hätten Bund, Länder und Kirchen mit je einem Fonds Heimkinder aus den Jahren 1949 bis 1975 in der Bundesrepublik sowie aus der DDR in den Jahren 1949 bis 1990 Hilfen von insgesamt rund 666 Millionen Euro gezahlt. Die Betroffenen konnten dabei bis zu 10.000 Euro als Unterstützungsleistung bekommen. Doch die Hilfen hätten nur einen Bruchteil der Betroffenen erreicht. „Es gab kaum Informationsangebote für Betroffene, die sie auf die Fonds hingewiesen haben“, sagte Keupp.

Schätzungen gehen Keupp zufolge von 700.000 bis 800.000 ehemaligen Heimkindern aus Westdeutschland und 500.000 aus der DDR aus. „Da sich relativ schnell abzeichnete, dass die bereitgestellten Mittel nicht ausreichen, ist kaum eine Öffentlichkeitsarbeit betrieben worden, die die Betroffenen hätte erreichen können.“

Kein spezieller Rentenanspruch

Ehemalige Heimkinder hätten in Deutschland zudem keinen speziellen Rentenanspruch, der sich auf die oft dramatischen biografischen Folgen ihrer Heimaufenthalte in Kindheit und Jugend beziehe, erläuterte der Experte. „Deshalb fordern wir die Schaffung einer monatlichen Zusatzrente, die sich am Modell von Österreich orientiert. Dort erhalten ehemalige Heimkinder aktuell eine Zusatzrente von 421,60 Euro.“

Ein weiterer Schritt wäre eine Gedenkveranstaltung im Bundestag für Betroffene von sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend. So könnte der Staat zeigen: „Wir übernehmen Verantwortung dafür, dass wir diese Kinder nicht gut genug geschützt haben.“

Keupp beklagte, dass die neue Bundesregierung das „Ergänzende Hilfesystem“ (EHS) eingestellt habe, das einsprang, wenn andere Leistungsträger nicht oder nicht mehr halfen. „Wer als Kind oder Minderjähriger sexualisierte Gewalt im familiären oder institutionellen Kontext erleben musste, benötigt häufig mehr und andere Unterstützung zur Linderung der Folgen, als die gesetzlichen Leistungssysteme gewähren.“ Beispielhaft sei der Stadtrat von München, der 35 Millionen bereitgestellt habe.