Berlin (epd). „Geschwiegen, weggeschaut, verharmlost“ - so fasst eine neue Studie die Reaktionen des schulischen Umfelds auf Missbrauchsberichte von Kindern und Jugendlichen zusammen. Nur wenige Betroffene hätten Hilfe erhalten oder seien geschützt worden, heißt es in der am Mittwoch vorgestellten Untersuchung im Auftrag der unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs. Die Kommissionsvorsitzende Julia Gebrande äußerte auf der Pressekonferenz in Berlin die Hoffnung, dass die Studie in jeder Schule Gespräche über das Thema anstößt.
In die Untersuchung flossen 133 Berichte von Betroffenen ein, deren Missbrauchserfahrung teils mehrere Jahrzehnte, teils nur einige Jahre zurücklag. Darunter sind Übergriffe beispielsweise durch Lehrer oder Mitschüler. Andere Betroffene berichteten von der Reaktion des schulischen Umfelds auf Missbrauch in einem anderen Kontext, etwa in der Familie. Die Auswertung übernahm ein Team unter Leitung der Erziehungswissenschaftlerin Edith Glaser.
„Kollegiale Loyalität hatte Vorrang“
Demnach wurden Taten durch Lehrkräfte - in den allermeisten Fällen Männer - oft über einen längeren Zeitraum angebahnt. Die Täter hätten „Krisenzeiten im Leben Betroffener“ ausgenutzt und oft emotionale Nähe vorgegaukelt, heißt es in der Untersuchung. Bei Übergriffen durch andere Kinder oder Jugendliche wiederum sei den Taten in vielen Fällen Mobbing vorausgegangen.
Die Studie zeige „Muster auf, wie sexualisierte Gewalt möglich war und wie Aufarbeitung verhindert wurde“, sagte Glaser. Viele Betroffene hätten über ihre Erfahrungen geschwiegen, etwa aus Scham. „Wenn sich Betroffene äußerten, wurden sie oft nicht gehört.“ Das galt demnach insbesondere, wenn Lehrkräfte über Täter aus dem Kollegium informiert wurden: „Kollegiale Loyalität hatte offensichtlich Vorrang“, sagte Glaser. Bei Taten in anderen Kontexten sei die Reaktion teilweise offener gewesen.
Schutzkonzepte in Schulgesetzen vorschreiben
Der Pädagoge Wolfgang Steiner aus dem Begleitgremium der Studie plädierte für eine Pflicht jeder Schule, ein Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt zu erarbeiten und umzusetzen. Dies müsse in den Schulgesetzen aller Bundesländer vorgeschrieben werden. Allerdings komme es letztlich mehr auf die Haltung aller Beteiligten an, weniger auf das Papier.
Der frühere Schülervertreter Dominik Schmidt aus dem Begleitgremium wies darauf hin, dass das Schulpersonal kontinuierlich fortgebildet werden müsse. Nur so könne es auf dem Laufenden bleiben zu neuen Täterstrategien, etwa der Anbahnung sexueller Kontakte über soziale Netzwerke. Außerdem müsse es in jeder Schule klare Prozesse und Ansprechpersonen auch abseits des Lehrpersonals und der Schulleitung geben.
„Blackbox“ Schulaufsichtsbehörden
Erziehungswissenschaftlerin Glaser kritisierte die Schulaufsichtsbehörden. Diese seien bisher „eine Blackbox“ beim Thema Missbrauch. Es gebe kaum strukturierte Aufarbeitung für Schulen in staatlicher Trägerschaft, die Zuständigkeiten seien oft unklar und die Ergebnisse einzelner Untersuchungen würden nicht transparent gemacht.



