Medizinjurist kritisiert: Suizidbeihilfe wird vermarktet

Medizinjurist kritisiert: Suizidbeihilfe wird vermarktet
Das Bundesverfassungsgericht hat 2020 die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe legalisiert. Seitdem ist der Gesetzgeber eine Neuregelung schuldig geblieben, und die Zahl der Suizide wächst. Jurist Tolmein befürchtet einen kaum kontrollierbaren Markt.
18.11.2025
epd
epd-Gespräch: Martina Schwager

Osnabrück, Göttingen (epd). Der Jurist Oliver Tolmein fordert vom Gesetzgeber rechtliche Rahmenbedingungen für den assistierten Suizid. „Wir brauchen Regelungen, die verhindern, dass hier ein schnell wachsender, kaum kontrollierbarer Markt für Suizidassistenz entsteht “, sagte der Hamburger Fachanwalt für Medizinrecht dem Evangelischen Pressedienst (epd). Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2020, das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung aufzuheben, sei der Suizid enttabuisiert worden, jetzt werde er vermarktet.

Seitdem habe sich die Zahl der assistierten Suizide mindestens verzehnfacht. Mittlerweile gebe es schon eine GmbH, die Suizidbeihilfe für 8.950 Euro bundesweit anbiete, erläuterte Tolmein, der auch an der Universität Göttingen Medizinrecht lehrt. Eine kürzlich veröffentlichte Studie zeige für München, dass etwa ein Drittel der Patienten, die mithilfe einer Suizidassistenz gestorben seien, unter Depressionen, kognitiven Einschränkungen oder Demenz litten.

„Gesetzgeber darf unregulierten Zustand nicht akzeptieren“

In fast zwei Dritteln der Münchner Fälle sei der Gutachter zugleich der assistierende Arzt und auch der Leichenschauer gewesen. Das widerspreche den Anforderungen, mit denen die Freiverantwortlichkeit eines Suizids festgestellt werden sollte, stellte der Jurist am Rande einer Tagung zum assistierten Suizid in Osnabrück klar: „Das kann der Gesetzgeber nicht akzeptieren. Und es spricht auch nichts dafür, dass das Bundesverfassungsgericht so einen gänzlich unregulierten Zustand gewollt hat.“

Das Bundesverfassungsgericht hatte den Strafgesetzbuch-Paragrafen 217 für verfassungswidrig erklärt und Bürgern ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben zuerkannt. Es hatte den Gesetzgeber zudem aufgefordert, Sterbehilfe neu zu regeln. Das ist bislang nicht gelungen, weil sich für die vorgelegten Gesetzentwürfe keine ausreichenden Mehrheiten fanden. Beim assistierten Suizid setzt etwa ein Arzt ein tödlich wirkendes Medikament ein. Der Patient muss dieses selbst einnehmen oder bei einer ärztlich gelegten Infusion den Zugang selbst öffnen.

Suizid kein Tabuthema mehr

In einem gesellschaftlichen Klima, in dem der Suizid kein Tabu mehr sei, könnten alte und kranke Menschen unter Druck geraten, weil sie ihren Angehörigen finanziell und pflegerisch nicht zur Last fallen wollten, sagte Tolmein. „Das verändert eine eigentlich lebensorientierte Gesellschaft.“

Tolmein bemängelte zudem, dass zu wenig Forschung zum assistierten Suizid und zu den Folgen der assistierten Suizide auf die Hinterbliebenen existiere. Auch die kursierenden Zahlen beruhten auf freiwilligen Angaben einiger Sterbehilfeorganisationen. Der Jurist hält eine Registrierung und Kontrolle von Organisationen und von assistierten Suiziden für dringend notwendig.