Soziologe Lessenich: Gesellschaft verdrängt Folgen des Klimawandels

Soziologe Lessenich: Gesellschaft verdrängt Folgen des Klimawandels
Trotz scharfer Mahnungen vor den Folgen steigender Temperaturen verschiebt die Politik die Klimaziele. Katastrophenszenarien nutzen sich ab, sagt der Soziologe Lessenich. Hilfreich wäre es, die Vorteile notwendiger Veränderungen zu betonen.
14.11.2025
epd
epd-Gespräch: Renate Haller

Frankfurt a.M. (epd). Der Soziologe Stephan Lessenich sieht ein „stilles Einvernehmen“ zwischen der Politik und einem Großteil der Bürgerinnen und Bürger in der Klimapolitik. In ihrer großen Mehrheit akzeptiere die Gesellschaft zwar die Fakten des Klimawandels und dessen prognostizierten dramatischen Auswirkungen. Die Gesellschaft verdränge allerdings die Folgen steigender Temperaturen für die eigene Lebensweise, sagte der Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Viele Bürger gingen noch immer davon aus, dass der Klimawandel vor allem ein Problem anderer Weltregionen sei.

Verschiedene Gründe für nicht angemessenes Handeln

Eine konsequente Klimaschutzpolitik würde alle Lebensbereiche der Menschen betreffen und Verzicht notwendig machen. Politiker und Politikerinnen befürchteten jedoch, mit dieser Botschaft keine Wahlen gewinnen zu können. „Um Verzicht nicht üben zu müssen, wird verzichtet, und zwar auf eine realistische Sichtweise der Probleme“, sagte der Professor für Gesellschaftstheorie und Sozialforschung.

Menschen mit niedrigem Einkommen hätten Sorge vor Neuerungen, die ihnen existenzielle Probleme bereiten könnten, etwa höhere Energiepreise. Wohlhabendere Schichten befürchteten eine weitreichende Veränderung ihrer Lebensführung. Lessenich sprach von einer „eigentlich tragischen Konstellation“, weil ein Großteil der Akteure im Prinzip wisse, worum es gehe, und aus unterschiedlichen Gründen nicht handele.

Die Versteppung von Lebensräumen oder das Versiegen von Flüssen und damit der Verlust der Lebensgrundlage seien in einigen Weltregionen bereits Realität. „Wir merken zwar, dass das Ganze näherkommt und spüren auch die Veränderung des Klimas“, sagte Lessenich. Den Bäumen etwa sehe man an, dass sie unter diesen Bedingungen nicht existieren könnten, aber es gebe noch keine großen versteppten Regionen in Deutschland. Beim Blick auf die Schäden der Bäume „sind wir geneigt, das kurz an uns heranzulassen“, aber die Mehrheit sei bislang nicht so weit, konsequent zu sagen: „Wir müssen etwas tun.“

Den Nutzen von Klimaschutz nach vorn stellen

Die Menschen schreckten vor Veränderung zurück, weil sie von einer Wendung zum Schlechteren ausgingen, erläuterte der Wissenschaftler. Allerdings sei es ein hohes Gut, ohne Angst vor dem Klimawandel leben zu können. Hier müsse sich die Balance verändern: Statt der Angst vor Verlust und künftiger Entbehrung müsse der mögliche Nutzen von konsequentem Klimaschutz im Vordergrund stehen, auch für künftige Generationen.

„Katastrophenszenarien nutzen sich ab“, sagte Lessenich, sie führten nicht zu den eigentlich notwendigen Handlungsimpulsen. Besser wäre ein realistischer, gesamtgesellschaftlicher Diskurs zu den Lebensbedingungen, „die uns in den 2050er Jahren erwarten, wenn wir nichts tun“. Dazu gehöre die Ermutigung, gemeinsam dieses Szenario abzuwenden.