Karlsruhe, Jerusalem (epd). Mit der Verwendung des Begriffs „Völkermord“ für das Vorgehen Israels im Gazastreifen hat der Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land, Sani Ibrahim Azar, Empörung ausgelöst. Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer, hatte daraufhin den Gottesdienst verlassen, in dem Azar predigte. Der Bischof sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), er bedauere sehr, „dass meine Worte Irritation ausgelöst haben und dass Herr Lehrer sich dadurch verletzt fühlte“. Ein Offener Brief kritisiert unterdessen die Reaktion der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) auf Azars Worte.
Azar hatte am Reformationstag in Jerusalem in Anwesenheit einer Delegation aus Nordrhein-Westfalen von „zwei Jahren Völkermord“ an den Palästinensern gesprochen und dabei den Hamas-Überfall auf Israel vom 7. Oktober 2023 als Auslöser des Gaza-Kriegs nicht erwähnt. Aus Solidarität mit dem Zentralrats-Vize blieb die Delegation aus Nordrhein-Westfalen, der auch Landtagspräsident André Kuper (CDU) angehörte, dem Empfang nach dem Gottesdienst fern.
Azar: Seelsorge statt Provokation
Er verstehe, dass der Begriff „Völkermord“ sehr belastet sei und Emotionen hervorrufe, sagte Azar. Seine Äußerungen seien jedoch keine politische Provokation gewesen, sondern eine „seelsorgerliche Ansprache an meine Gemeinde in Jerusalem, die direkt von dem Konflikt betroffen ist“. Die Kritik nehme er ernst, sehe aber auch die Notwendigkeit, die Perspektive der direkt Betroffenen zu teilen. In seiner Predigt habe er nicht spalten oder polarisieren wollen: „Sie war nicht als politische Position gegenüber Deutschland oder der jüdischen Gemeinschaft gedacht.“
Der palästinensische Bischof bekräftigte sein Engagement für Frieden und Versöhnung und verurteilte „jede Form von Gewalt, sei sie gegen Palästinenser oder Israelis gerichtet“. Jede friedliche Initiative, jede Waffenruhe, sei ein Schritt hin zu Versöhnung. „Christen, Muslime und Juden können gemeinsam ein Umfeld schaffen, in dem Hoffnung auf Frieden nicht nur möglich, sondern aktiv gestaltet wird.“
Kritik aus evangelischen Kirchen
Kritik an Azar kam auch von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Begriff „Völkermord“ stehe einer Verständigung und Versöhnung entgegen. Die leitende Theologin der Evangelischen Kirche von Westfalen, Adelheid Ruck-Schröder, nannte es nach ihrer Rückkehr von der Delegationsreise sehr schmerzlich, dass ausgerechnet ein christlicher Gottesdienst einen Juden veranlasst habe, die Kirche zu verlassen. Niemand könne bestreiten, dass es im Gaza-Krieg zu Verletzungen des Völkerrechts und der Menschenrechte gekommen sei, sagte Ruck-Schröder dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Donnerstag): „Ich halte aber nichts davon, den Ausdruck 'Genozid' als Kampfbegriff einzusetzen.“
Ein Offener Brief an Rat und Synode der EKD vom Donnerstag wies wiederum die Kritik der Kirchen an Azar zurück. Sie sei „problematisch und nicht haltbar“, heißt es darin. Ob das Vorgehen Israels als Genozid bezeichnet werden könne, sähen zahlreiche namhafte Völkerrechtler und auch jüdische Experten in Israel und den USA als Tatbestand erfüllt. Azars Aussagen seien zudem aus der „existenziellen Betroffenheit“ von ihm und seiner Gemeinde gekommen, heißt es weiter in dem Schreiben, das von der Tübinger Religionswissenschaftlerin Katja Dorothea Buck und dem Pfarrer Andreas Maurer aus Winnenden zuerst unterzeichnet wurde. Sie kritisierten leitende Geistliche der EKD, „die sich das Recht herausnehmen, den Sprachgebrauch eines palästinensischen, kirchenleitenden Christen, der direkt vom Nahostkonflikt betroffen ist, zu verurteilen“.



