Verfassungswidrig und nichtig

Verfassungswidrig und nichtig
Karlsruhe kippt Triage-Regelung im Infektionsschutzgesetz
Das Bundesverfassungsgericht hat die Regelungen zur Entscheidung über knappe medizinische Behandlungsmöglichkeiten im Infektionsschutzgesetz gekippt. Es sah die Therapiefreiheit der behandelnden Ärztinnen und Ärzte beeinträchtigt.
04.11.2025
epd
Von Frank Leth und Nils Sandrisser (epd)

Karlsruhe (epd). Die vom Bund im Infektionsschutzgesetz eingeführte sogenannte Triage-Regelung über die Verteilung von Intensivbetten während einer Pandemie ist verfassungswidrig und nichtig. Die Regelung verletze die Berufsausübungsfreiheit von Ärztinnen und Ärzten und stehe ihrem Recht entgegen, eigenständig Heilbehandlungen durchzuführen, entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am Dienstag veröffentlichten Beschluss vom 23. September. (AZ: 1 BvR 2284/23 und 1 BvR 2285/23)

Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, sieht in dem Beschluss die ärztliche Therapiefreiheit gestärkt. Medizinische Entscheidungen dürften „nicht durch bundesgesetzliche Vorgaben ersetzt werden“, sagte er. Auch der Marbuger Bund begrüßte das Urteil. Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) und der Sozialverband VdK betonten, dass es den Schutz von Menschen mit Behinderungen nicht infrage stelle.

Hintergrund des Rechtsstreits war eine frühere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (AZ: 1 BvR 1541/20): Am 16. Dezember 2021 hatte es dem Gesetzgeber aufgegeben, Vorkehrungen zum Schutz behinderter Menschen für den Fall einer pandemiebedingten Triage zu treffen. Komme es zu knappen intensivmedizinischen Behandlungsressourcen, dürften Menschen mit Behinderung bei der Auswahl, wer behandelt werden soll, nicht benachteiligt werden.

Ziel: Diskriminierung verhindern

Daraufhin hatte der Bund das Infektionsschutzgesetz erweitert und Kriterien für die Triage aufgestellt. Demnach sollte bei der Zuteilung knapper Krankenhausbetten nur die kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit ausschlaggebend sein. Eine Diskriminierung wegen Behinderung, Alter, Geschlecht oder Herkunft war damit verboten. Mehrere Ärztinnen und Ärzte aus der Notfall- und Intensivmedizin sahen durch das Gesetz ihre Berufsfreiheit verletzt.

Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die grundgesetzlich geschützte Berufsfreiheit auch beinhalte, dass Ärztinnen und Ärzte „frei von fachlichen Weisungen sind“. Diese Therapiefreiheit werde durch das Infektionsschutzgesetz aber eingeschränkt.

Dem Bund fehle es auch an der Gesetzgebungskompetenz, hieß es außerdem. Vielmehr seien die Bundesländer zuständig. Zwar könne er nach dem Grundgesetz „Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten“ bestimmen. Dies meine aber Maßnahmen, die der Eindämmung oder Vorbeugung dienen. Die Triage-Regelung mindere Infektionsrisiken aber nicht, sondern lege nur fest, wer behandelt werden darf. Der Bund habe die Triage-Regelung auch nicht als „öffentliche Fürsorge“ beschließen dürfen, für die er in einzelnen Bereichen zuständig sein könne. Das Gesetz habe primär keinen „fürsorglichen Charakter“, argumentierte das Gericht.

Keine inhaltliche Entscheidung

Gesundheitsministerin Warken sagte, es brauche rechtssichere Regelungen für Ärztinnen und Ärzte ebenso wie für Schutzbedürftige. Daher werde der Bund zusammen mit den Ländern „die notwendigen Schlüsse daraus ziehen“. VdK-Präsidentin Verena Bentele wies darauf hin, dass der Beschluss keine inhaltliche Entscheidung über den Schutz von Menschen mit Behinderung sei. Das Gericht habe nur festgestellt, dass der Bund nicht zuständig sei. „Nun werden also die Länder Triage-Regeln treffen müssen“, sagte Bentele.