Bern (epd). Nach Beobachtungen der Schweizer Entwicklungspsychologin Pasqualina Perrig-Chiello leiden gegenwärtig wieder mehr Eltern unter dem sogenannten Empty Nest Syndrom. Ursache sei vermutlich die seit Jahrzehnten steigende Zahl der Familien mit nur einem oder zwei Kindern, sagte die emeritierte Professorin der Universität Bern dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Viele haben sich bewusst entschieden, nur ein Kind zu bekommen und messen diesem eine große Bedeutung zu.“ Diese Eltern hätten nun länger anhaltende Probleme, wenn ihre erwachsenen Kinder ausziehen.
Vom Empty Nest Syndrom sprächen Experten dann, wenn die Gefühle von Trauer und Leere nach dem Auszug von Kindern nicht aufhörten, sagte Perrig-Chiello, die unter anderem zu biografischen Übergängen und zur Entwicklung im mittleren Lebensalter forscht. Manche Eltern hätten große Schwierigkeiten, einen neuen Sinn zu finden, die eigene Identität als Mutter und Vater und auch als Paar neu zu definieren.
Perrig-Chiello rät Eltern, sich bewusst zu machen, dass die Kinder nicht ihr Eigentum seien. „Die Kinder sind ein Geschenk und es ist eine wunderbare Aufgabe, diese zu gesunden und selbstständigen Erwachsenen zu erziehen.“ Egozentrische Gefühle, Zweifel und Ängste der Eltern müssten zurückstehen, wenn das Kind zeige, „dass es bereit ist für das Leben“ und ausziehen wolle. „Wenn man dieses Mindset hat, kann man besser loslassen.“
Das in den 1950er Jahren erstmals definierte Empty Nest Syndrom ist laut Perrig-Chiello bis in die 1970er Jahre sehr verbreitet gewesen. Es sei ursprünglich nur auf die Mütter gemünzt gewesen. Die meisten Frauen hätten sich damals vor allem über ihre Rolle als Hausfrau und Mutter definiert.
Bereits Anfang der 2000er Jahre habe sie in Studien gezeigt, dass die Väter genauso unter dem Auszug der Kinder litten wie die Mütter, sagte die Psychologin. „Viele haderten mit verpassten Chancen und hätten das Gefühl, nicht genügend Zeit mit ihren Kindern verbracht zu haben.“ Zudem realisierten sie schmerzlich, dass die Kontakte mit den Kindern nach dem Auszug häufig über die Mütter liefen.


