Kulturanthropologin: Bedeutung gemeinsamer Feiertage nimmt ab

Kulturanthropologin: Bedeutung gemeinsamer Feiertage nimmt ab
28.10.2025
epd
epd-Gespräch: Urs Christian Mundt

Göttingen (epd). Die Göttinger Kulturanthropologin Regina Bendix hat anlässlich des Reformationstags an den gemeinschaftsstiftenden Sinn von Feiertagen erinnert. „Wir sollten unsere Feiertage viel mehr für Feste nutzen, die das Gemeinwesen stärken“, sagte die Professorin von der Universität Göttingen, die zu Festen und Bräuchen forscht, dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Die CDU-Politikerin Gitta Connemann hatte den Reformationstag als arbeitsfreien Feiertag infrage gestellt. Dies stieß in Kirchen und Politik auf deutliche Kritik. Der Tag werde von vielen Menschen kaum noch aktiv wahrgenommen, argumentierte Connemann. Sie sei verwundert, dass an diesem Tag die Kirchen leer sind. Bendix sagte, die Zahl der Kirchgänger allein sei kein Messgrad, ob ein religiös konnotierter Feiertag seine Berechtigung habe.

Der 2018 in Niedersachsen und anderen nördlichen Bundesländern eingeführte Reformations-Feiertag kranke tatsächlich daran, dass er für die meisten Bürger nur ein willkommener freier Tag sei, der individuell genutzt werde, sagte die Professorin. Dieser Trend betreffe aber im Prinzip alle Feiertage. „In unserer individualistischen Gesellschaft fällt es zunehmend schwer, diese Tage mit Bedeutungen zu füllen, die zu einem kollektiven Feiern einladen.“

Der Kampf des Reformators Martin Luther gegen den Ablasshandel biete zwar Anknüpfungspunkte für ein feierndes Gedenken, sagte Bendix. Denn auch heute sei „die Gier der Mächtigen, die sich immer weiter bereichern“ ein großes Thema. „Aber wer weiß heute noch, worum es Luther ging? Auch wegen seines Antisemitismus ist er als Identifikationsfigur problematisch geworden.“ Der Reformationstag habe zudem das Problem, „dass er nicht unbedingt integrativ wirkt in einer Gesellschaft, die schon sehr lange heterogen ist“.

Das Feiern spiele dennoch eine große Rolle im Leben der Menschen, auch wenn die Bedeutung gemeinsamer Feiertage in den Hintergrund rücke, betonte Bendix. Der Mensch brauche ästhetische Unterbrechungen aller Art, wie sie die Feier biete, sagte die Kulturanthropologin. „Wir sollten Feiertage daher nicht nur als arbeitsfreie Tage betrachten, sondern uns feiernd in Gemeinschaft begeben.“