Berlin (epd). Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sieht einer Umfrage zufolge den Ausweg aus der Pflegekrise im Umbau hin zu einer solidarischen Vollversicherung, die alle Kosten der Pflege übernimmt. 65 Prozent der Befragten befürworteten diese Reformidee, teilte der Paritätische Gesamtverband am Donnerstag in Berlin mit. „Die Bevölkerung hat längst verstanden, dass Pflege nicht in Armut führen darf und solidarisch finanziert werden muss“, erklärte Hauptgeschäftsführer Joachim Rock.
Nur eine Minderheit von 18 Prozent sprach sich den Angaben nach gegen diesen Ansatz zum Umbau der gesetzlichen Pflegeversicherung aus und votierte dafür, eine verpflichtende private Zusatzversicherung einzuführen, um die Pflegebedürftigen vom Kostenanstieg zu entlasten.
Die repräsentative Umfrage wurde vom Institut Forsa umgesetzt, das den Auftrag dazu vom Bündnis für eine solidarische Pflegevollversicherung erhalten hatte. Dem Bündnis gehören neben großen Sozialverbänden auch mehrere Gewerkschaften an. Zwischen dem 10. und 15. Oktober wurden 1.001 Personen ab dem Alter von 18 Jahren online befragt.
Rock kritisierte, die bisherigen Vorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zukunftspakt Pflege“ (AG) drohten Pflegebedürftige und ihre Angehörigen zusätzlich zu belasten. Das klare Votum der Bevölkerung müsse ein Weckruf sein für die AG, die im Dezember ihre Ergebnisse präsentieren will. „Eine Pflegevollversicherung im ambulanten und stationären Bereich muss bei allen Zukunftsplänen eine zentrale Rolle spielen“, sagte der Verbandschef. Sie sei ein fairer und nachhaltiger Weg aus der Pflegekrise.
Rock verwies zudem auf ein gesundheitsökonomisches Gutachten vom Januar 2025, das belege, dass eine Pflegevollversicherung durch die Einführung einer Bürgerversicherung langfristig finanziert werden könne. Eine grundlegende Reform der Pflegefinanzen sei unumgänglich, denn derzeit müssten Pflegebedürftige im ersten Jahr ihres Aufenthaltes in einem Pflegeheim durchschnittlich rund 3.100 Euro pro Monat selbst aufbringen.
Eugen Brysch, der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, zeigte sich skeptisch: „Die Umfrage wird keinen großen öffentlichen Druck auf die Bundesregierung ausüben können. Denn die Bereitschaft zu erwartbaren Beitragserhöhungen bei einer Vollversicherung wird nicht abgefragt“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Ebenso fehle eine Differenzierung zwischen ambulanten und stationären Pflegekosten. „Die schwarz-rote Koalition sollte jedoch dieses Stimmungsbild nutzen, um eine Pflegereform auf den Weg zu bringen, die nachhaltig und generationengerecht ist“, so der Fachmann.
Stephan Löchler, Vorstandsvorsitzender des BIVA-Pflegeschutzbundes, sagte: „Während Pflegende und Betroffene am Limit sind, spart die Bundesregierung auf dem Rücken der Schwächsten. Wer jetzt keine solidarische Pflegevollversicherung wagt, riskiert den sozialen Kollaps.“
Besonders in Ostdeutschland sei die Zustimmung zu einer möglichen Vollversicherung hoch, hieß es beim Sozialverband Volkssolidarität. „Im Osten sind viele Menschen aufgrund niedrigerer Einkommen und Renten stärker auf verlässliche Unterstützung im Pflegefall angewiesen“, erklärte Präsidentin Susanna Karawanskij. Pflegebedürftige müssten umfassend und solidarisch abgesichert werden, unabhängig vom Wohnort und Einkommen.



