Ethiker: Bei Hirn-Computer-Schnittstelle gilt Prinzip "patient first"

Ethiker: Bei Hirn-Computer-Schnittstelle gilt Prinzip "patient first"
15.10.2025
epd
epd-Gespräch: Christine Ulrich und Susanne Rochholz

München (epd). Der Münchner Ethik-Professor Marcello Ienca hält eine europaweit einmalige Gehirnoperation an der Technischen Universität München (TUM) bei einem querschnittsgelähmten Patienten für ethisch geboten. Ienca sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Mittwoch in München, jede Forschung müsse „die Würde, Freiheit und Integrität des Menschen achten. Aber solange diese Grundprinzipien gewahrt bleiben, ist es nicht nur vertretbar, sondern geradezu eine moralische Verpflichtung, solche Entwicklungen voranzutreiben.“ Das TUM-Team treffe nach dem Prinzip „patient first“ alle Entscheidungen im engen Austausch mit dem Patienten, erklärte er.

Ein 25 Jahre alter Patient, der seit einem Verkehrsunfall mit 16 Jahren vom Hals abwärts gelähmt ist, hatte in München eine Hirn-Computer-Schnittstelle erhalten, ein laut TUM in Europa bislang einmaliger Eingriff. Damit soll er künftig sein Smartphone und einen Roboterarm steuern. Die Operation führte ein Forscherteam des Klinikums Rechts der Isar der TU durch, das nun weitere Betroffene für eine Studie sucht.

Der Ethik-Professor der Uni, der das Projekt eng begleitet, bescheinigte der Studie einen außergewöhnlich gründlichen Aufklärungsprozess. Die Betroffenen müssten nachvollziehen können, was die Operation bedeute, welche Chancen realistisch seien und welche Risiken bestünden. „Nur wenn diese Informationen transparent und verständlich vermittelt werden, kann man von echter Selbstbestimmung sprechen“, hob Ienca hervor. Die Forschenden führten zudem regelmäßig Gespräche mit dem Patienten über seine Erfahrungen und sein Wohlbefinden.

Der Patient dürfe nie Mittel zum Zweck der Forschung sein, sondern die Forschung stehe im Dienst des Menschen. „Ziel ist es immer, seine Lebensqualität und Selbstständigkeit zu verbessern“, sagte Ienca. Aktuell gibt es nach seinen Worten keine sicheren Hinweise, dass Brain-Computer-Interfaces die Persönlichkeit „verändern“. Sie könnten beim Patienten jedoch ein neues Gefühl von Kontrolle oder Abhängigkeit von Technik hervorrufen. Neben der psychologischen Betreuung achte das Team auch darauf, „wie sich das Erleben des Patienten im Alltag verändert. Ziel ist, die Autonomie zu stärken, und nicht, sie zu gefährden.“

Wichtig seien zudem klare Sicherheitsstandards und ein kontinuierliches Monitoring. Patienten dürften mit möglichen Fehlfunktionen nicht alleingelassen werden, sagte Ienca. „Ehrlichkeit ist hier der beste Schutz vor Enttäuschung“, erklärte der Ethik-Professor, der die gewonnen neuronalen Daten „hochsensibel“ nannte. „Sie müssen daher mit derselben Sorgfalt behandelt werden wie genetische oder medizinische Hochrisikodaten“, verlangte er.