Solingen (epd). Blumen, Kerzen und mahnende Worte: Ein Jahr nach dem islamistisch motivierten Messerangriff mit drei Toten hat Solingen der Opfer gedacht. In einer Gedenkfeier am Fronhof, dem damaligen Tatort, riefen Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) und der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) am Samstag dazu auf, die Werte der offenen und freiheitlichen Gesellschaft zu verteidigen. Um 21.37 Uhr, zum Zeitpunkt des Anschlags, hielten mehr als 300 Menschen auf dem Platz mit Kerzen in der Hand für eine Schweigeminute inne. Am Sonntagmorgen wurde in einem Gottesdienst an die Tat und ihre Folgen erinnert.
Der syrische Asylbewerber und mutmaßliche Islamist Issa al H. hatte am 23. August 2024 beim Solinger Stadtfest eine 56-jährige Frau und zwei Männer im Alter von 56 und 67 Jahren mit einem Messer getötet und acht Besucher durch Stiche verletzt, mehrere von ihnen lebensgefährlich. Die Tat löste eine bundesweite Debatte über die Asyl- und Migrationspolitik aus. Im Prozess gegen den heute 27-jährigen Angeklagten vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf wird im September das Urteil erwartet.
Der Täter habe Hass säen und spalten wollen, damit sei er gescheitert, sagte Ministerpräsident Wüst. „Denn an diesem Tag haben Menschen auch etwas anderes gezeigt: Mut, Solidarität, Mitgefühl.“ Der Angriff habe „unserer Freiheit, unserer Sicherheit, unserer offenen Gesellschaft“ gegolten. Religiöser und politischer Extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus setzten die freiheitlichen Werte unter Druck. Die Antwort darauf seien „der wehrhafte Rechtsstaat“, die Verteidigung der Menschenwürde sowie Zusammenhalt und Versöhnung.
Oberbürgermeister Kurzbach sagte, der Anschlag habe Solingen getroffen, „aber gemeint waren wir alle in NRW und in Deutschland“. Doch man lasse sich nicht einschüchtern: „Wir halten zusammen und wir werden weiter das Leben in Vielfalt feiern, gerade weil man es uns nehmen wollte.“ Mit Blick auf rechtspopulistische Chats und Berichte kritisierte Kurzbach Hass und Hetze im Internet und in einzelnen Medien, sie hätten den Anschlag „für sich ausnutzen“ wollen.
Über 250 Menschen nahmen an der Gedenkfeier auf dem Fronhof teil, die von Musikern der Bergischen Symphoniker begleitet wurde. Drei Glockenschläge erinnerten an die Getöteten, zu deren Gedenken drei Stoffbahnen mit der Aufschrift „Frieden? Frieden! Frieden.“ aus Fenstern oberhalb der evangelischen Stadtkirche neben dem Fronhof herabgelassen wurden.
Beim stillen Gedenken zum Zeitpunkt des Anschlags am Abend mit mehreren hundert Teilnehmenden erklangen erneut drei Glockenschläge. Viele Anwesende sangen das Lied „We pray for Peace“ (Wir beten für Frieden) mit. „Nehmt diesen Moment des Friedens mit und erzählt davon, gebt den Frieden weiter“, sagte die Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Solingen, Ilka Werner.
Im Gedenkgottesdienst am Sonntag unterstrich Pfarrer Joachim Römelt, der nach dem Anschlag als Notfallseelsorger vor Ort war, die Bedeutung von Anteilnahme und Mitgefühl, die viele Menschen nach dem Anschlag gezeigt hätten. Auf allen Ebenen der Gesellschaft müsse das respektvolle Gespräch neu gelernt werden, sagte Römelt: „Schlagworte, Etiketten, Schubladen, markige Sprüche gibt es gerade viel zu viele. Lasst uns daran arbeiten, dass das anders wird. Und immer wieder etwas dafür tun, dass Hass und Terror niemals ihr Ziel erreichen.“