Stuttgart (epd). Mit einem Festakt in Stuttgart ist am Dienstag an die Unterzeichnung der „Charta der Heimatvertriebenen“ vor 75 Jahren erinnert worden. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) würdigte in seiner Festrede die Leistung der deutschen Heimatvertriebenen. Bernd Fabritius, Präsident des Bundes der Vertriebenen, wies auf die Aktualität der Charta hin.
Die Heimatvertriebenen, die aus den Ostgebieten des Deutschen Reiches und anderen ost- und südosteuropäischen Ländern in das Gebiet der neuen Bundesrepublik kamen, hätten wesentlich mitgearbeitet an dem wirtschaftlichen Fundament, „das unser Land bis heute trägt“, sagte Merz. Das sei eine der ganz großen Erfolgsgeschichten Deutschlands, über die bislang viel zu wenig gesprochen worden sei: „Ich möchte Ihnen ein Wort des Dankes aussprechen im Namen der Bundesrepublik. Wir brauchen Sie auch weiter als Übersetzer und Mittler.“
Für viele der Millionen Heimatvertriebenen habe das Ende des Zweiten Weltkriegs kein Ende der Gewalt bedeutet. Stattdessen hätten sie die „furchtbare Erfahrung“ gemacht, „erst rechtlos und dann heimatlos“ zu sein. In der „neuen Heimat“ seien sie vielfach auf ein Klima gestoßen zwischen stiller Ablehnung und offener Feindseligkeit, so Merz.
Oft seien Vertriebene und Spätaussiedler behandelt worden wie „Menschen zweiter Klasse“. Vor diesem Hintergrund sei das Bekenntnis zu Frieden, Freiheit und Versöhnung in der „Charta der Heimatvertriebenen“ alles andere als eine Selbstverständlichkeit gewesen. „Schuldfragen können politisch und moralisch noch so klar entschieden sein. Aber die Wirklichkeit des Krieges schafft immer Opfer auf allen Seiten“, sagte Merz mit Blick auf die deutsche Schuld am Zweiten Weltkrieg.
Bernd Fabritius, Präsident des Bundes der Vertriebenen, würdigte die Charta als „zukunftsweisendes Dokument von fortwährender Aktualität“. Das Dokument sei seiner Zeit weit voraus gewesen, sagte er. Mit der Abkehr von Rache und Vergeltung hätten die Unterzeichner eine der ersten modernen Visionen eines freien und vereinten Europas gezeichnet.
Dabei sei es keine Selbstverständlichkeit gewesen, dass die deutschen Heimatvertriebenen damals aus der Spirale von Gewalt und Vergeltung ausgestiegen seien: „Denn Vertreibungen bleiben immer Unrecht und können nie gegen andere Verbrechen aufgerechnet werden.“ Es hätte im Nachkriegsdeutschland auch ganz anders kommen können, so Fabritius.
Nach dem Ende des von Hitler-Deutschland entfesselten Zweiten Weltkriegs wurden etwa 12 bis 14 Millionen Deutsche aus ihren Siedlungsgebieten vertrieben. Diese Zwangsumsiedlungen waren die Folge von Grenzverschiebungen und ethnischen Säuberungen, die im Potsdamer Abkommen von 1945 zwar indirekt legitimiert wurden, in ihrem Ausmaß und ihrer Brutalität jedoch oft weit über den vereinbarten Rahmen hinausgingen.
Die Überlebenden waren entwurzelt, traumatisiert und standen vor dem Nichts. Ihre Integration war angesichts von Nahrungsmangel, materieller Not und psychischer Ausweglosigkeit eine immense Herausforderung. In dieser Zeit entstand das Bedürfnis nach einer Organisation, die ihre Interessen vertrat und für ihre Rechte eintrat.
Am 5. August 1950 trafen sich in Stuttgart schließlich Vertreter der verschiedenen Landsmannschaften und unterzeichneten die „Charta der deutschen Heimatvertriebenen“. Die Charta war weniger ein Forderungskatalog als vielmehr eine Selbstverpflichtung der Vertriebenen. „Wir Heimatvertriebenen verzichten auf Rache und Vergeltung“, lautet ein Kernsatz. Zugleich bekannten sich die Unterzeichner zu einem friedlichen Aufbau Europas.