Frankfurt a.M., Den Haag (epd). Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehle gegen den obersten Taliban-Anführer in Afghanistan, Haibatullah Achunsada, sowie den ranghöchsten Richter Abdul Hakim Hakkani erlassen. Das Gericht mit Sitz im niederländischen Den Haag warf den Taliban-Vertretern in einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung Verbrechen gegen Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts und damit Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor.
Das Gericht sieht laut Mitteilung hinreichende Gründe für die Annahme, dass die Taliban-Führer Achunsada und Hakkani an der geschlechtsspezifischen Verfolgung von Frauen und Mädchen in Afghanistan maßgeblich beteiligt sind. Konkret geht es um Verbrechen, die seit der erneuten Machtübernahme der Taliban in Afghanistan am 15. August 2021 begangen worden sein sollen.
Die mit den Haftbefehlen befasste Vorverfahrenskammer gehe davon aus, dass der afghanischen Bevölkerung unter der Taliban-Herrschaft fundamentale Freiheiten vorenthalten würden, hieß es. Dabei gebe es Vorschriften, die sich speziell gegen Frauen und Mädchen richteten. Der weiblichen Bevölkerung werde unter anderem das Recht auf Bildung, die Privatsphäre und die Bewegungsfreiheit vorenthalten. Auch andere Personen, deren Sexualität oder Geschlechtsidentität nicht ins Bild der Taliban passten, gerieten ins Visier der Islamisten, hieß es.
Laut Römischem Statut fällt die Verfolgung von Personen aufgrund ihres Geschlechts als Verbrechen gegen die Menschlichkeit in die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs. Die mehr als 120 Mitgliedsstaaten sind nun verpflichtet, die beiden Taliban-Führer festzunehmen, sollten sie in ihre Länder reisen.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International begrüßte die Haftbefehle. Dies gebe afghanischen Frauen und Mädchen sowie LGBT-Personen innerhalb sowie außerhalb Afghanistans Hoffnung, erklärte Amnesty-Generalsekretärin Agnès Callamard.
Haibatullah Achunsada ist seit 2016 oberster Führer der Taliban. Zusammen mit Richter Abdul Hakim Hakkani gehört er zum ideologischen und streng konservativen Flügel der Taliban-Bewegung, der sich auf eine Mischung aus Stammestraditionen und einer besonders strengen Auslegung des islamischen Rechts, der Scharia, aus frühislamischer Zeit beruft. Letzterer ist als Vorsitzender des Obersten Gerichtshofs der Taliban dafür zuständig, Bestrafungen wie die Todesstrafe bis hin zu Steinigungen bei Ehebruch zu verhängen.
Die Taliban hatten nach dem Abzug der von den USA angeführten Militärallianz im August 2021 wieder die Macht in Afghanistan übernommen. Mit zahlreichen Dekreten schränkten sie seitdem die Rechte von Frauen und Mädchen ein. Zum Beispiel wird ihnen der Zugang zur höheren Bildung verwehrt. Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Karim Khan, hatte die Haftanträge gegen die beiden Taliban-Anführer im Januar gestellt.
Die Taliban beherrschten zwischen 1996 und 2001 schon einmal Afghanistan weitgehend. Auch damals verbannten sie Frauen aus der Öffentlichkeit. Weil sie Al-Kaida-Führer Osama bin Laden Zuflucht boten, dem Drahtzieher der Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA, bombardierte das US-Militär das Land. Innerhalb weniger Monate wurde das erste Taliban-Regime von einer internationalen Militärkoalition gestürzt.