Berlin (epd). Es passiert auf der Wohnungssuche, beim Behördengang oder in der Schule: Noch immer sehen sich Gruppen wie Sinti und Roma antiziganistischen Anfeindungen ausgesetzt. Die dokumentierten Fälle stiegen gar stark an im Vergleich zum Vorjahr - 1.678 Fälle bedeuteten ein Plus von rund 36 Prozent, gab die Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA) bei der Vorstellung ihres dritten Jahresberichts am Montag in Berlin bekannt. Unter den Übergriffen befanden sich auch 57 körperliche Angriffe (2023: 40) und, wie im Jahr 2023, zehn extreme Gewalttaten.
Der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antiziganismus, Michael Brand (CDU), äußerte sich deutlich: Wer Sinti und Roma oder andere Minderheiten als Problem betrachte, müsse sich „ernsthaft fragen lassen, welches Menschenbild er oder sie hat“. Sinti und Roma würden dazu beitragen, dass „unsere offene Gesellschaft vielfältig, interessant und lebenswert ist“.
Auch der Geschäftsführer von MIA, Guillermo Ruiz, nannte die Zahlen ein „alarmierendes Signal“. Beispielsweise seien die sogenannten verbalen Stereotypisierungen - wie fast alle Vorfallsarten - im Jahr 2024 deutlich angestiegen (856, 2023: 600). Des Weiteren wurden in mehr als einem Drittel der Fälle Menschen antiziganistisch diskriminiert (666, 2023: 502).
Fast ein Viertel aller Fälle (369) ereignete sich in staatlichen Institutionen. Im Fokus des Berichts stand demnach auch der Bildungsbereich (313 Fälle), da Kinder und Jugendliche häufig von Mitschülern und sogar Lehrkräften antiziganistisch diskriminiert würden. Diese Diskriminierungen hätten oft gravierende Folgen für die Bildungslaufbahn.
Viele Vorfälle (295) gab es den Angaben zufolge auch im Wohnkontext - etwa, wenn Menschen aufgrund ihres Nachnamens als Mieter abgelehnt wurden oder andere Hausbewohner sie antiziganistisch beleidigten. Zudem habe es in 94 Fällen einen direkten Bezug zur NS-Vergangenheit gegeben. Beispielsweise seien Hauswände mit rechter Propaganda beschmiert, Denkmäler geschändet und der Völkermord an Sinti und Roma geleugnet worden.
Brand wies darauf hin, dass die Diskriminierung von Sinti und Roma nicht nur aus diesen historischen Gründen inakzeptabel sei, „sondern weil Sinti und Roma aus positiven Gründen unseren Respekt und unsere Empathie verdienen“. Die Zahlen stammen demnach aus der bundesweiten Arbeit der MIA-Bundesgeschäftsstelle sowie der Meldestellen in sechs Bundesländern. Die meisten Vorfälle (247) seien in Berlin gemeldet worden.
MIA konnte jedoch auch Erfolge im Kampf gegen Antiziganismus vermelden. In dem Bericht begrüßte die Organisation, dass der Presserat in mehreren Fällen antiziganistische Berichterstattungen missbilligt habe. Außerdem habe ein Gerichtsurteil die Situation für Roma in Montenegro „besorgniserregend“ genannt. Dies sei ein bedeutender Erfolg in der Benennung des Antiziganismus-Problems.
Antiziganismus beschreibt laut MIA die gesellschaftlich tradierte Wahrnehmung von und den Umgang mit Menschen oder sozialen Gruppen, die als „Zigeuner“ konstruiert, stigmatisiert und verfolgt werden. Die Diskriminierung richte sich unter anderem gegen Sinti und Roma, Jenische oder auch Reisende.