Berlin (epd). Eltern verzichten zugunsten der Kinder auf Essen, Menschen fühlen sich gesellschaftlich ausgegrenzt: Eine Umfrage im Auftrag des Vereins Sanktionsfrei beleuchtet die Situation von Bürgergeldbeziehenden. Viele Befragte beschreiben starke Belastungen, insbesondere durch die finanzielle Lage, und äußern wenig Zuversicht, wie die am Montag in Berlin vorgestellte Erhebung zeigt. Sanktionsfrei-Geschäftsführerin Helena Steinhaus kritisierte die aktuelle politische Debatte über weitere Verschärfungen.
Für die Erhebung hatte das Meinungsforschungsunternehmen Verian 1.014 Menschen im Bürgergeldbezug online befragt. 72 Prozent gaben dabei an, dass mit dem Regelsatz kein würdevolles Leben möglich sei. 69 Prozent äußerten die Ansicht, dass das Geld nicht für gesunde Ernährung reiche. Unter den Befragten mit Kindern sagten zudem 54 Prozent, dass sie auf Essen verzichten, damit die Kinder genug haben.
Der selbst betroffene Thomas Wasilewski sagte bei der Pressekonferenz: „Verzicht gehört zum Leben für mich dazu.“ Er habe drei Kinder, „da fehlt es jeden Tag an irgendetwas“. Besonders schwierig sei es immer am Monatsende, „wenn der Kühlschrank leer ist“.
In der Umfrage zeigte sich auch, wie weit der Wunsch verbreitet ist, vom Bürgergeld unabhängig zu werden. 74 Prozent der Befragten sagten, dass sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten möchten - allerdings zeigten sich nur 26 Prozent zuversichtlich, dass sie eine Arbeit finden, die das ermöglicht. 52 Prozent erklärten, sie fühlten sich gesellschaftlich ausgeschlossen.
Steinhaus kritisierte, dass in der Politik viel über das Bürgergeld gesprochen werde, die Lebensrealität der Betroffenen aber kaum vorkomme. Deren Situation werde „ignoriert oder sogar verdreht“. Es müsse weniger um Leistungskürzungen gehen und mehr um Unterstützung für die Betroffenen.
Die Bundesregierung will, dass bei Bürgergeldbeziehenden wieder die Vermittlung in einen Job im Vordergrund steht und nicht mehr Weiterbildung und Qualifizierung. Bei Pflichtverstößen soll die Sozialleistung „schneller, einfacher und unbürokratischer“ gekürzt werden, wie es im Koalitionsvertrag heißt. Auch „ein vollständiger Leistungsentzug“ soll möglich sein.
Steinhaus forderte den Verzicht auf „Totalsanktionen“ und auf die Rückkehr zum Vermittlungsvorrang. Außerdem müssten die Regelsätze deutlich angehoben werden. Für Alleinstehende etwa müsse die Summe von 563 auf 813 Euro im Monat steigen.
Auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), Marcel Fratzscher, bezeichnete die Regelsätze auf der Pressekonferenz als „nicht ausreichend“. Der aktuelle politische Kurs sei ein „gefährlicher Irrweg“: Es werde Stigmatisierung betrieben und dieses Vorgehen „kennt nur Verlierer“. Fratzscher beklagte zudem, dass die Perspektive der Kinder und Jugendlichen im Bürgergeldbezug vernachlässigt werde, die rund ein Drittel der etwa 5,5 Millionen Bürgergeldbeziehenden ausmachten.
Das Bürgergeld war Anfang 2023 eingeführt worden. Es löste das Arbeitslosengeld II ab, umgangssprachlich Hartz IV.