Brüssel, Freiburg (epd). Der Rechtswissenschaftler Constantin Hruschka kritisiert die Zurückweisungen von Asylsuchenden an deutschen EU-Binnengrenzen scharf. Diese seien „evident rechtswidrig“ und verstießen gegen das geltende EU-Recht, erklärte der Asylexperte und Professor der Evangelischen Hochschule Freiburg im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Praxis untergrabe zudem das Vertrauen in die europäische Rechtsordnung und gefährde die gemeinsame Grundlage für die europäische Zusammenarbeit.
Nach der Dublin-Verordnung müsse jede schutzsuchende Person ein Verfahren erhalten, in dem geprüft werde, welcher EU-Mitgliedstaat für den Asylantrag zuständig sei. Das Argument einer Notlage, auf das sich das Bundesinnenministerium berufe, sei rechtlich nicht haltbar, erklärte Hruschka. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) habe mehrfach klargestellt, dass eine solche nur auf EU-Ebene festgestellt werden könne - und nicht durch einseitige nationale Maßnahmen.
Eine strukturelle Überlastung der Behörden könne keine rechtliche Ausnahme begründen. Der Schengener Grenzkodex erlaube Grenzkontrollen nur bei plötzlichen, außergewöhnlichen Migrationsbewegungen, nicht bei andauerndem Ressourcenmangel. Im Mai habe der EuGH entschieden, dass Mitgliedstaaten verpflichtet seien, ihre Behörden ausreichend auszustatten. „Fehlendes Personal ist kein rechtlicher Freifahrtschein“, sagte Hruschka.
Für Asylsuchende bedeutet dies laut dem Experten: Wer an der Grenze ein Asylgesuch stelle, habe automatisch einen vorübergehenden legalen Aufenthalt, auch wenn die Einreise irregulär erfolgt sei. Eine Rückführung sei dann ausschließlich im Rahmen eines Dublin-Verfahrens möglich.
Die aktuell bestehenden Grenzkontrollen hält Hruschka für rechtlich zweifelhaft. Diese seien laut Schengener Grenzkodex nur zulässig bei konkreten Bedrohungen für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit. Wiederholte und weitgehend gleichlautende Begründungen über Jahre hinweg seien nicht ausreichend. Die EU-Kommission habe deshalb bereits eine Stellungnahme angekündigt. Das wertete der Jurist als Hinweis auf erhebliche rechtliche Bedenken.
Einen Kurswechsel des Europäischen Gerichtshofs erwartet der Rechtswissenschaftler nicht: „Der EuGH hat ein klares Interesse daran, das Europarecht gegenüber nationalem Recht zu verteidigen.“ Grenzkontrollen beeinträchtigten nicht nur die Rechte von Schutzsuchenden, sondern auch die Freizügigkeit der EU-Bürgerinnen und Bürger sowie die wirtschaftliche Stabilität innerhalb der EU.
Besonders schwer wiegt laut Hruschka der politische Schaden: „Wenn Deutschland, das lange als Garant für Rechtsstaatlichkeit galt, offen gegen europäisches Recht verstößt, ist das eine neue Qualität.“ Es gehe dabei nicht nur um juristische Fragen, sondern um das Vertrauen in die gemeinsame europäische Rechtsordnung. Von der neuen Bundesregierung forderte er daher ein klares Bekenntnis zum Europarecht.