Hannover, Münster (epd). Der Münsteraner Professor für theologische Ethik, Arnulf von Scheliha, sieht den Wechsel der evangelischen Regionalbischöfin Petra Bahr aus Hannover in die Politik als eine Fortsetzung einer langen Tradition. Schon seit der Weimarer Republik habe es Theologen und Theologinnen gegeben, die politische Ämter übernommen hätten, sagte der Wissenschaftler am Mittwoch dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die 59-jährige Bahr wird Staatssekretärin im Bundesfamilienministerium.
Dieser Werdegang sei nicht ungewöhnlich, sagte von Scheliha, der ein Forschungsprojekt zu Theologen und Parlamentariern geleitet hat. Petra Bahr habe schon immer einen guten Draht in die Berliner Politik gehabt und somit sei es naheliegend, dass man sie angefragt und sie das Angebot angenommen habe. „Es ist kein einzelner Sonderfall, sondern im Rahmen dessen, was es immer schon gegeben hat.“
Das prominenteste Beispiel aus der jüngeren Geschichte sei der frühere Bundespräsident Joachim Gauck, der als Pastor in der DDR-Bürgerrechtsbewegung politisch aktiv wurde. Den Anfang des Austausches von Pastoren, die in die Politik gingen, habe Friedrich Naumann (1860-1919) dargestellt. Er war als evangelischer Pastor in Hamburg und Frankfurt am Main in der inneren Mission tätig. „Naumann war langjähriger Reichstagsabgeordneter für die liberalen Parteien noch zu Kaiserzeiten und spielte eine bedeutende Rolle in der Weimarer Nationalversammlung.“ Er habe die Weimarer Reichsverfassung mitverfasst und insbesondere am Grundrechtskatalog stark mitgearbeitet.
Ein weiteres bekanntes Beispiel für den Wechsel von der Kirche in die Politik sei Heinrich Albertz (1915-1993), ein schlesischer Pfarrer, der über die Flüchtlingsbewegung ins niedersächsische Celle kam und dort in die SPD eintrat. Albertz, ein „Urgestein der Partei“, wurde zunächst Landesminister in Niedersachsen, war dort für Flüchtlingsfragen zuständig und wurde später Regierender Bürgermeister in Berlin, sagte von Scheliha. „Dass er am Ende seiner Karriere wieder als Gemeindepfarrer gearbeitet hat, ist eher ungewöhnlich und bei den wenigsten Pastoren der Fall, die in die Politik gewechselt sind.“
Die Theologen hinterließen auch Spuren ihres Hintergrundes in der Politik, unterstrich der Ethiker. Bei Gauck habe sich sehr deutlich gezeigt, wie er den Freiheitsbegriff sowohl theologisch als auch politisch bis in die Gegenwart hinein profiliert habe. Albertz habe dazu beigetragen, die kirchenfeindliche SPD an die christliche Religion anzunähern. „Diese Partei für kirchliche Fragen zu öffnen, wirkt heute selbstverständlich, war es damals aber nicht.“
Beide Berufsbilder hätten viele Gemeinsamkeiten, daher gebe es häufiger Wechsel von kirchlichen Vertretern in die Politik, sagte der Professor. „In der Politik ist es nicht anders, dass man Menschen mit Argumenten überzeugen muss und authentisch für die Sache, für die man spricht, eintritt.“ Die Geistlichen in der Politik zeichne in besonderer Weise aus, dass sie „über den eigenen Tellerrand“ schauten, Interessengrenzen überschritten und sich am Gemeinsinn orientierten.