Die Müllsammler von Kairo

Sara wohnt mit ihrer Familie in der Müllstadt Mokattam im südosten Kairos.
epd-bild/Judith Kubitscheck
Sara wohnt mit ihrer Familie in der Müllstadt Mokattam im Südosten Kairos. Sie ist Expertin für Plastikmüll und sortiert diesen und verkauft ihn weiter.
Sammeln 80 Prozent des Abfalls
Die Müllsammler von Kairo
Sie sorgen dafür, dass das ägyptische Kairo nicht im Abfall versinkt: Die "Zabbaleen" sammeln Müll, sortieren ihn und verarbeiten ihn weiter. Eine von ihnen ist die 35-jährige Sara. Für ihre Töchter wünscht sie sich Bildung und ein besseres Leben.

Durch die engen Gassen von Mokattam drängen sich Pickups, meterhoch beladen mit großen Müllsäcken. Frauen sitzen an der Straße oder im offenen Erdgeschoss der Häuser und sortieren den Müll mit ihren bloßen Händen. Die Siedlung Manschiyyet Nasser, die alle einfach "Mokattam" nennen, weil sie am Fuße des gleichnamigen Plateaus im Südosten Kairos liegt, gilt als die "Ur-Müllstadt". Sie ist die älteste, größte und am meisten entwickelte von Kairos Müllsiedlungen. Hier leben die Menschen, die den Abfall der Großstadt mit ihren Eselskarren und Pickups einsammeln, um ihn in ihren Häusern zu sortieren und weiterzuverkaufen.

An vielen Haustüren sieht man christliche Kreuze, über den Straßen hängen Heiligenbilder, im Zentrum steht eine riesige Felsenkirche. Rund 70.000 Bewohner hat Mokattam, sogenannte "Zabbaleen", was auf Arabisch "Müllleute" bedeutet. Die meisten von ihnen sind koptisch-orthodoxe Christen, die ursprünglich aus den ländlichen Regionen Oberägyptens als verarmte Kleinbauern in die ägyptische Hauptstadt kamen.

Die Müllsammler von Kairo sind dafür bekannt, dass sie rekordmäßige 80 Prozent des Abfalls recyceln. Ein ausgeklügeltes System ist entstanden, in dem jeder seinen Platz in der Müllverwertung einnimmt. Sara, 35 Jahre, ist Expertin für Plastik. Sie erhält das unsortierte Plastik in mannshohe Ballen gepresst. Im Untergeschoss ihres Hauses sortiert sie es nach Farbe und Material. Zwei Ratten huschen quiekend Richtung Ausgang, ein Hund hat es sich auf einem Müllsack gemütlich gemacht.

Das sortierte Plastik verkauft Sara an andere, die es in den nächsten Schritten waschen, schreddern, nochmals waschen und dann ebenfalls weiterverkaufen, wie sie erklärt. Es war für die dreifache Mutter nicht einfach, zu lernen, worauf man beim Sortieren von Plastik achten muss. Aber sie habe sich für das Plastik entschieden, weil sie aus hygienischen Gründen nicht wollte, dass ihre Töchter den unsortierten Restmüll aus Krankenhäusern und Hotels in die Hand bekommen, erklärt sie: "Der Plastikmüll ist viel sauberer."

Wohnbereich der Familie ist streng vom Müll getrennt

Ein paar Treppen höher ist der Wohnbereich der Familie. Er ist streng vom Müll getrennt und wer durch die Wohnungstür geht, betritt ein sauberes, aufgeräumtes Wohnzimmer. Die 35-Jährige bietet ihren Gästen Schnitzel, Pommes, Reis und Salat an. Alle drei Töchter besuchen die Schule, die beiden älteren Mädchen helfen ihrer Mutter in ihrer Freizeit beim Sortieren. Saras Kinder erhalten finanzielle Unterstützung von der ägyptischen Organisation "Chance for a better life", die eng mit dem Verein "Müllstadtkinder Kairo" mit Sitz im bayerischen Biessenhofen im Ostallgäu zusammenarbeitet.

Darum können sie neben dem staatlichen Schulunterricht, der frontal in riesigen Klassen stattfindet, zusätzlich Privatunterricht nehmen. "Wir wollen, dass die Kinder durch eine gute Bildung eine Chance auf ein besseres Leben haben und wählen können, was sie später machen wollen", sagt Nancy Ibrahim, die über die "Müllstadtkinder Kairo" Patenschaften nach Deutschland vermittelt. Für das jüngste Mädchen, die 12-jährige Jessica, die mit einem Tumor im Kopf zu kämpfen hatte, ist bereits klar, was sie später werden möchte: Kinderärztin. "Damit ich anderen Kindern helfen kann, wenn es ihnen ähnlich wie mir geht."

Viele Häuser wurden von Flutkatastrophe zerstört

Im Süden von Kairo liegt die Kirche der "Heiligen Jungfrau Maria und des Heiligen Athanasius." Sie ist umgeben von einer planierten Fläche und mehreren Schutthaufen. Auch hier wohnten vor fünf Jahren noch Müllsammler in Hütten und einfachen Steinhäusern einer informellen Stadt - solange, bis im März 2020 starke Regenfälle eine große Flut auslösten, die alles mit sich riss: Häuser, Tiere, Menschen. Viele konnten sich noch in die etwas höher gelegene Kirche retten, andere verloren ihr Leben in den Wassermassen. "Die Flut war furchtbar, aber auch die Situation danach war schrecklich", sagt Nancy Ibrahim. "Viele hatten kein Geld, sich eine Wohnung zu mieten und schliefen monatelang auf der Straße im Müll. Noch heute haben manche Kinder Angst, wenn es anfängt zu regnen oder sie Regengeräusche hören."

Seit eineinhalb Jahren wohnen die rund 2.000 Flutopfer nun in sechsstöckigen Wohnblöcken, die die ägyptische Regierung für sie gebaut hat. Auch Dimiana ist dort mit ihrer Familie untergekommen, ihre Kinder werden von "Chance for a better life" unterstützt. Ein großes Problem für die Familie ist die Inflation mit rund 24 Prozent gegenüber dem Vorjahr: Vater Issam muss in dem Gebiet, in dem er das Recht hat, Müll zu sammeln, Abgaben für den "guten Müll" aus Hotels und Wohnkomplexen an die Hausbesitzer zahlen. Diese kann er sich inzwischen nicht mehr leisten.

Er überließ seine Rechte seinem Kollegen und fährt seither in seinem Auto den gesammelten Müll von anderen Zabbaleen für diese nach Hause zum Sortieren. Weil das Auskommen für die Familie nicht reicht, wird er aber wohl sein Auto verkaufen müssen. Von dem Erlös will er Schweine anschaffen und züchten, die vom organischen Müll ernährt werden. "Wir haben schon Schweine, aber wenn es mehr sind, können wir davon leben", so seine Hoffnung. Zurück in Mokattam: Versteckt in den verzweigten Gassen liegt eines der insgesamt 103 "Community Center" der Organisation "Stephen's Children", gegründet von Maggie Gobran, der "Mutter Teresa von Kairo". Die ehemalige Informatikprofessorin wurde für ihren Einsatz für die Kinder der Müllsammler schon mehrfach für den Friedensnobelpreis nominiert.

Gerade findet in dem Zentrum in Mokattam ein Mädchentreff statt. Die Mitarbeiterin Jaqueline, eine selbstbewusste Frau mit rot gefärbten Haaren, bringt den Mädchen bei, dass sie etwas erreichen können und Träume haben dürfen. Das hat sie auch selbst erlebt: Sie kam als neuntes Kind in der Familie selten zu Wort und wurde regelmäßig von ihren großen Brüdern geschlagen, wie sie erzählt. "Ich konnte es kaum glauben, als ich gefragt wurde, ob ich bei Stephen’s Children mitarbeiten will. Ich lernte, dass ich meine Träume verwirklichen kann. Und heute behandeln mich meine älteren Geschwister respektvoll und kommen auf mich, ihre jüngere Schwester zu, wenn sie Probleme haben und Hilfe brauchen", sagt sie mit einem Lachen.