Wüst: Umgang mit Missbrauch muss Thema in Ausbildungen sein

Wüst: Umgang mit Missbrauch muss Thema in Ausbildungen sein
Sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche ist auch auf dem Kirchentag ein Thema: Kirchenvertreter und Betroffene diskutieren über Macht und Verantwortung. Wichtig sei, dass alle Menschen in der Kirche für das Thema sensibilisiert seien.

Hannover (epd). Die pfälzische Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst will den Umgang mit sexualisierter Gewalt in allen kirchlichen Ausbildungsberufen verankern. Von der Gemeindepädagogin bis zum Theologiestudium müsse das Thema in jede Ausbildung rein, sagte Wüst am Samstag beim evangelischen Kirchentag. Wüst ist Sprecherin der kirchlichen Beauftragten im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Diakonie.

Die theologischen Fakultäten müssten zudem anerkennen, dass es auch in ihren Bereichen sexualisierte Gewalt gebe. Es sei kein Nischenthema, betonte Wüst, und könne nicht in einer Fortbildung behandelt werden. In allen Aus- und Fortbildungsprogrammen von Kirche und Diakonie müsse das Thema tief verankert sein, um Reflexion zu ermöglichen und Sprachfähigkeit zu erreichen. Denn ihre Erfahrung sei, dass es vor Ort etwa in den Gemeinden, oft eine Hilf- und Ratlosigkeit gebe, die verhindere, für Betroffene von sexualisierter Gewalt ansprechbar zu sein, sagte Wüst bei einer Podiumsdiskussion vor Hunderten Zuhörern.

Potsdamer Professorin für Methoden der Sozialen Arbeit und Sozialforschung, Friederike Lorenz-Sinai, gab zu bedenken, dass eine bessere Qualifizierung nicht automatisch einen besseren Umgang mit Betroffenen garantiere. Keine noch so hohe Qualifizierung und Ausbildung schütze vor dem Affekt, sexualisierte Gewalt für unvorstellbar zu halten. Lorenz-Sinai ist eine der Autorinnen der evangelischen Missbrauchsstudie, die im Januar 2024 von einem unabhängigen Forschungsverbund veröffentlicht wurde.

Sie kenne Fälle etwa in Kindertagesstätten, in denen es zu Übergriffen gekommen sei, in denen Schutzkonzepte existiert hätten. Dennoch sei Betroffenen nicht geglaubt worden. Präventions- und Schutzkonzepte könnten geradezu fatal sein, wenn man sie nur abarbeite, wichtiger sei es, externe Hilfe für die Aufarbeitung zu holen, sagte Lorenz-Sinai.

Marlene Kowalski, Leiterin der Fachstelle Aktiv gegen sexualisierte Gewalt bei der Diakonie Deutschland, sagte, es fehle zwar an Wissen über die Mechanismen sexualisierter Gewalt und Täterstrategien. Aber wichtig sei auch, den Umgang mit Macht in der evangelischen Kirche und der Diakonie zu reflektieren. „Wir sprechen ungern über Macht, weil wir negieren, dass wir Macht haben“, sagte Kowalski. Institutionen müssten auch ihre eigenen Kritiker schützen.

Gerade in der jüngeren Generation in der Kirche erlebe sie eine große Sensibilisierung für das Thema Gewalt und Machtstrukturen. Die Generation der 20- bis 30-Jährigen sei etwa mit der „MeToo“-Debatte aufgewachsen, sagte Kowalski.

Der Sprecher der Betroffenen in der evangelischen Kirche und Diakonie, Detlev Zander, sagte, er habe sich nicht vorstellen können, dass Betroffene in der evangelischen Kirche Macht erlangen und mitentscheiden können. Das Beteiligungsforum sei „eine große Errungenschaft“. Zander ist Betroffenensprecher im Beteiligungsforum, in dem Kirchen- und Diakonievertreter gemeinsam mit Betroffenenvertretern über Maßnahmen zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt beraten und entscheiden.