Genscher zum Wächterpreis: Europa muss Verantwortung übernehmen

Genscher zum Wächterpreis: Europa muss Verantwortung übernehmen
Hans-Dietrich Genscher hat an die Europäer appelliert, ungeachtet der Schwierigkeiten innerhalb der EU ihrer Verantwortung für eine neue Weltordnung gerecht zu werden. Eine gerechte und stabile Ordnung sei nur zu erreichen, wenn alle Völker am Wohlstand teilhaben können, sagte der ehemalige Bundesaußenminister in seiner Festrede bei der Vergabe des Wächterpreises der deutschen Tagespresse am Mittwoch in Frankfurt am Main. Ansonsten drohe eine Massenmigration mit dramatischen Folgen.

In dieser Situation könne die EU ein Vorbild sein. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei in Europa eine Staatengemeinschaft entstanden, die auf "Achtung, Gleichberechtigung und Ebenbürtigkeit" der Länder beruhe - unabhängig von deren Größe oder wirtschaftlichen Leistungskraft, sagte der 85-Jährige.

Angesichts der gegenseitigen Abhängigkeiten der Länder gelte es heute, Regeln für eine "globale Nachbarschaftsgesellschaft" geschaffen werden. "Eine Hypothekenkrise in den USA schlägt durch bis in das letzte Dorf in der Rhön", verdeutlichte der FDP-Politiker.

Mit dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse wurden bei der Feierstunde das in Düsseldorf erscheinende "Handelsblatt" ausgezeichnet. Das Redaktionsteam Martin Buchenau, Jürgen Flauger und Sönke Iwersen habe "die mehr als zweifelhaften Umstände" des Ankaufs von 45 Prozent des Energieversorgers EnBW durch das Land Baden-Württemberg unter seinem damaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus (CDU) dargelegt und analysiert, hieß es in der Begründung der Stiftung "Freiheit der Presse". Der erste Preis ist mit 12.000 Euro dotiert.

Missstände aufdecken

Den zweiten Preis (8.000 Euro) erhielt Ursula Samary von der "Rhein-Zeitung" in Koblenz für ihre Recherchen über die geplante Auflösung des Oberlandesgerichts Koblenz. Sie habe "die parteipolitischen und damit sachfremden Motive" der Landesregierung und ihres Ministerpräsidenten sichtbar gemacht, erklärte die Jury.

Der dritte Preis (6.000 Euro) ging an Barbara Schönherr, freie Mitarbeiterin des "Tagesspiegels" in Berlin. Sie habe an einem Berliner Beispiel "den ausufernden Missbrauch" von Fördermitteln in der Familienhilfe aufgezeigt. Den Wächterpreis für Volontäre (4.000 Euro) erhielt Ines Fuchs von der "Badischen Zeitung" in Freiburg für eine Reportage, in der sie geschildert habe, wie "skrupellose Verlage" die Gutgläubigkeit alter Menschen ausnutzten.

Der Wächterpreis wurde zum 43. Mal verliehen und ist damit die älteste deutsche Journalistenauszeichnung. Die Stiftung "Freiheit der Presse" vergibt die Auszeichnung seit 1969. Geehrt werden Journalisten deutscher Tageszeitungen, die in ihrer Arbeit "in besonderem Maße der verfassungspolitischen Funktion der Tagespresse entsprochen haben, als Wächter Missstände aufzudecken und zu behandeln".