Historiker Schoeps: Viele Juden sind zutiefst verunsichert

Historiker Schoeps: Viele Juden sind zutiefst verunsichert

Berlin (epd). Der Historiker Julius Schoeps sieht in dem aktuellen Zustand der Gesellschaft Ähnlichkeiten mit den Geschehnissen vor und nach 1933. Das antijüdische Klima heute weise Ähnlichkeiten mit der damaligen Situation auf, sagte der Gründungsdirektor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam dem „Tagesspiegel“ (Dienstag): „Unsere Gesellschaft hat keine wirklichen Antworten darauf, wie dem zu begegnen ist. Das ist das Problem. Man würde viel lernen, wenn man sich intensiver mit der Situation vor und nach 1933 beschäftigen würde.“ Viele Juden seien davon zutiefst verunsichert und würden darüber nachdenken, Deutschland zu verlassen.

Die Demokratie lebe vom Bekenntnis der Menschen zu ihr. „Dass das in ausreichendem Maße geschieht, daran habe ich allerdings häufig Zweifel“, sagte Schoeps, der Nachfahre der deutsch-jüdischen Berliner Familie Mendelssohn-Bartholdy ist. Er begrüße die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus sehr. Aber das sei nicht die Mehrheit der Gesellschaft: „Wenn 100.000 Menschen sich vor dem Brandenburger Tor versammeln, stellt sich die Frage: Wen vertreten sie eigentlich? Denken alle so? Oder ist das nur eine lautstarke Minderheit, die sich zu Wort meldet?“

Der Antisemitismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen sei aus seiner Sicht eine kollektive Bewusstseinskrankheit, die in Wellen komme und gehe: „Ob judenfeindliche Wahnvorstellungen in den Köpfen der Menschen überhaupt bekämpft werden können? Ich weiß nicht.“ Er hoffe, dass er die Entscheidung, als Jude in Deutschland zu leben, nicht irgendwann bereuen muss.