Soziologe: Gesellschaftliches Klima ist anstrengend geworden

Soziologe: Gesellschaftliches Klima ist anstrengend geworden
21.12.2023
epd
epd-Gespräch: Michael Grau

Göttingen (epd). Der Göttinger Sozialwissenschaftler Berthold Vogel beobachtet eine zunehmende Bereitschaft zu Aggressivität, Hass und rohen Umgangsformen in Deutschland als Folge mehrerer Krisen. „Das gesellschaftliche Klima ist anstrengend geworden“, sagte Vogel dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Und dabei schwinden bei Einzelnen auch die Umgangsformen.“ Die Rüpel seien aber klar in der Minderheit, betonte der Sozialforscher. Es gebe nach wie vor eine Mehrheit von Menschen, die sich für ein solidarisches Miteinander einsetzen.

„Wir spüren den Stress aus Pandemie, Krieg und Krisen“, erläuterte der Leiter des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen. Vor allem in der Mitte der Gesellschaft fürchteten viele Menschen Wohlstandsverluste. „Bisweilen hat man den Eindruck, dass jeder Zentimeter der eigenen Position verteidigt wird.“ Vogel sprach von „gesellschaftlichen Long-Covid-Phänomenen ganz eigener Art“.

Mit Sorge sehe er, „dass wir dem Hass immer weniger entgegentreten oder ihn sogar beschweigen - das gilt für Entgleisungen und Gewaltdrohungen auf AfD-Seite, die sich gerade im kommunalen Bereich im Aufwind sehen“. Das gelte aber auch „für den Jubel zu palästinensischem Terror und Judenhass, den wir an den Universitäten und auf der Straße erleben“.

Nach Vogels Worten darf „nicht jeder Rüpel entschuldigt werden, indem man alle möglichen sozialen Faktoren heranzieht“. Wer durch Wort und Tat Angst und Schrecken verbreite, sei notfalls auch ein Fall für das Strafrecht.

Gegenkräfte gegen eine Verrohung seien „Menschen, die Brücken bauen und den Dialog suchen, in religiöser oder politischer Hinsicht“, sagte der Wissenschaftler. Diese Kräfte seien nach wie vor stark: „Wir lernen in unserer Forschung viele engagierte Leute kennen, die sich trotz aller Widrigkeiten für ein gutes Miteinander einsetzen. Das zeigt, über welche positiven Zukunftsenergien wir verfügen. Wir müssen daher nicht den Kopf in den Sand stecken.“

Das Weihnachtsfest könne daran erinnern, dass Menschen wechselseitig verpflichtet seien, „etwas zum Nutzen aller zu machen und nicht nörgelnd die Hände in den Schoß zu legen“, betonte Vogel. Allerdings genüge es nicht, nur an Weihnachten Mitmenschlichkeit zu predigen. Freiheit und Demokratie sowie der Sozial- und Rechtsstaat müssten das ganze Jahr über gegen Hetzer, Spalter und Hassprediger verteidigt werden. „Zivilcourage für ein solidarisches Miteinander ist heute gefragter denn je.“