EU-Asylreform: Einigung erzielt - Zweifel an den Inhalten

EU-Asylreform: Einigung erzielt - Zweifel an den Inhalten
Seit 2015 ringt die EU um ihre Asyl- und Migrationspolitik. Am Mittwoch dann gelingt die Einigung. Doch Wissenschaftler, Menschenrechtler und Hilfswerke kritisieren die Lösungsvorschläge.

Brüssel (epd). Die Europäische Union wird das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) voraussichtlich noch vor der Europawahl 2024 reformieren und verschärfen. Darauf haben sich EU-Staaten, Parlament und Kommission nach einem Verhandlungsmarathon am Mittwoch geeinigt. „Heute ist ein wahrhaft historischer Tag“, erklärte EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola in Brüssel. Die EU-Asylreform sei „das vielleicht wichtigste Gesetzespaket dieser Legislaturperiode“. Bei Vertretern der Zivilgesellschaft, Nichtregierungsorganisationen und Kirchen löst es jedoch Entsetzen aus. Sie warnen vor dramatischen Folgen für Schutzsuchende.

Jahrelang hatte die EU besonders über die Verteilung von Schutzsuchenden innerhalb der EU gestritten. Die Asylreform soll diesen Streit beenden, Migration in die EU begrenzen und steuern. Viele der Vorschläge liegen bereits seit der Migration 2015/2016 auf dem Tisch.

Noch vor der Europawahl im Juni 2024 wollen Kommission, Mitgliedsstaaten und Parlament die Asylreform verabschieden. Denn viele fürchten einen Rechtsruck. So erklärte Parlamentspräsidentin Metsola, Migration sei bereits bei der Europawahl 2019 das wichtigste Anliegen der Bürgerinnen und Bürger gewesen. Man könne die Wahl nicht antreten, ohne das Problem gelöst zu haben.

„Aufgrund der politischen Vorgabe, bis Ende des Jahres ein Ergebnis zu erlangen, wurde der Inhalt dem Ziel einer schnellen Einigung untergeordnet“, kritisierte der Europaabgeordnete Erik Marquardt (Grüne) die Eile in den Verhandlungen. So dürfe Gesetzgebung nicht ablaufen. Die Abschreckungspolitik, die nun aus der Reform spreche, „schwächt den Rechtspopulismus nicht, sondern stärkt ihn“, sagte er.

Während die EU-Institutionen wie auch die Bundesregierung bereits die Einigung an sich als Erfolg verbuchen, stellen Experten die Angemessenheit des Reformpaketes infrage. Die Grundprobleme, etwa die Überlastung der europäischen Grenzstaaten, blieben bestehen oder verschärften sich sogar, sagte der Osnabrücker Migrationsforscher Jochen Oltmer am Mittwoch im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Ein zentrales Element der Reform sind die sogenannten Grenzverfahren. Asylbewerber mit geringer Bleibechance sollen demnach in Zentren direkt an der Außengrenze Schnellverfahren zur Asylvorprüfung durchlaufen. Haben sie keinen Anspruch auf Asyl, sollen sie direkt wieder abgeschoben werden.

Migrationsforscher Oltmer befürchtet, dass es in den geplanten Lagern zu ähnlich katastrophalen Verhältnissen wie im griechischen Lager Moria kommen werde. Das Lager auf der griechischen Insel Lesbos stand wegen schlechter Zustände für Schutzsuchende lange in der Kritik, bevor ein Brand es am 8. September 2020 weitgehend zerstörte. Der Osnabrücker Forscher sieht Infrastrukturen in Italien oder Griechenland als bereits überlastet an. „Wie soll das funktionieren, wenn diese Staaten jetzt auch noch beschleunigte Grenzverfahren in den Inhaftierungslagern organisieren sollen?“

Ähnlich vernichtend fällt das Urteil von Nichtregierungsorganisationen aus. Amnesty International geißelte die Einigung als „menschenrechtlicher Dammbruch“ und urteilte: „Diese Reform wird die bestehenden Herausforderungen nicht lösen, sondern weiter verschärfen.“

Das kirchliche Hilfswerk „Brot für die Welt“ kritisierte, die neuen Regeln hätten das Ziel, möglichst viele Menschen vom Recht auf Asyl auszuschließen. Das Vorhaben, unschuldige Menschen, darunter Familien mit kleinen Kindern, in haftähnlichen Lagern an den EU-Außengrenzen zu internieren, sei verantwortungslos, erklärten die Beauftragten für Flüchtlingsfragen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Christian Stäblein und Erzbischof Stefan Heße.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bezeichnete die Einigung hingegen als „längst überfällig“. Zugleich räumte sie ein, dass sich Deutschland in den abschließenden Verhandlungen bei pauschalen Ausnahmen von Kindern und Familien aus den umstrittenen Grenzverfahren nicht habe durchsetzen können. „Zur Wahrheit gehört: Jede Einigung in Brüssel ist auch immer ein Kompromiss“, sagte Baerbock am Mittwoch in Berlin. Die internationale Kinderrechtsorganisation terre des hommes erklärte dazu: „Wir sind enttäuscht und fassungslos, dass die Bundesregierung und die EU diesen historischen Bruch mit den Kinderrechten und damit die Abkehr von Menschlichkeit in der EU mitträgt.“