Steinmeier: Aus Betroffenheit muss praktische Solidarität folgen

Steinmeier: Aus Betroffenheit muss praktische Solidarität folgen
Selbstbewusstsein und Solidarität prägen die Eröffnung des jüdischen Gemeindetags. Nach dem Überfall der Hamas auf Israel wird das Treffen von Gemeindemitgliedern aus ganz Deutschland zum Zeichen des Zusammenhalts.

Berlin (epd). Der Gemeindetag des Zentralrats der Juden in Deutschland ist am Donnerstagsabend in Berlin mit Appellen zum Zusammenhalt im Kampf gegen Antisemitismus eröffnet worden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sicherte Jüdinnen und Juden die Solidarität Deutschlands zu. Der Präsident des Zentralrats, Josef Schuster, machte deutlich, dass Juden in Freiheit und ohne Angst leben wollen.

Steinmeier sagte in seiner Eröffnungsrede zu dem Überfall der Hamas auf Israel und den Massakern vom 7. Oktober: „Wir alle sind betroffen. Wir fühlen mit den Opfern. Dieses Gefühl kann aber nur glaubwürdig und vertrauenswürdig sein, wenn aus diesem Bekenntnis auch praktische Solidarität folgt.“

Vor dem Hintergrund der steigenden Zahl antisemitischer Übergriffe versicherte Steinmeier den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Gemeindetags, das jüdische Leben werde sich überall in Deutschland weiter entfalten können: „In aller Klarheit: Deutschland wird, und dafür trete ich persönlich ein, dafür tritt die übergroße Mehrheit aller Deutschen ein, eine Heimat für Juden bleiben.“

Steinmeier sagte, die Deutschen stünden an der Seite Israels, „das sich wehrt und wehren muss gegen den Terror der Hamas“. Wie verblendet müsse man sein, um in der Hamas eine Befreiungsorganisation zu sehen, die doch in Wahrheit die Bevölkerung Gazas in Geiselhaft halte, sagte Steinmeier unter Beifall. Er ging auf das Leid der Zivilbevölkerung durch den Krieg im Gaza-Streifen ein und sagte, es müsse auch öffentlich möglich sein, den Schmerz über die palästinensischen Opfer zu zeigen. Wo sich das Mitleiden jedoch mit Antisemitismus mische, werde Deutschland ihn bekämpfen. „Nichts rechtfertigt diesen Hass, nichts rechtfertigt Antisemitismus“, sagte Steinmeier.

Zentralratspräsident Schuster schilderte die Drohungen und Übergriffe, denen Juden in Deutschland ausgesetzt sind. Nach einer Umfrage des Zentralrats hat seit dem 7. Oktober jede dritte jüdische Gemeinde antisemitische Angriffe erlitten. Schuster sagte, es habe Judenhass auch zuvor gegeben, „aber die Qualität und die Bedrohung ist jetzt eine andere“. Für Juden sei es „in den vergangenen Wochen zunehmend schwer geworden, sich in unserem Land, in Deutschland, zugehörig zu fühlen“, sagte Schuster: „Uns eint der Wunsch, frei zu sein in diesem offenen Land; frei zu leben in einer offenen Gesellschaft. Er bestärkte die Teilnehmer des Gemeindetags: “Wir Juden werden uns nicht unterkriegen lassen. Niemals!„, sagte Schuster: “Wir treten für unser Recht ein, in Frieden und Freiheit und ohne Angst zu leben."

Der Gemeindetag unter dem Leitgedanken „Zusammen leben“ mit mehr als 1.400 Teilnehmerinnen und Teilnehmern dauert noch bis zum Sonntag. Das Treffen dient dem Austausch der Gemeindemitglieder und soll den Zusammenhalt der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland stärken. Auf dem Programm stehen unter anderem Erinnerungskultur, die Rückgabe von Raubkunst, Künstliche Intelligenz und der Umgang mit Antisemitismus an Schulen sowie zahlreiche religiöse Themen.

An der Eröffnung des Gemeindetags am letzten Tag des jüdischen Chanukka-Festes nahm auch der israelische Botschafter Ron Prosor teil. Für Samstagabend ist eine Festrede von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vorgesehen, am Freitag will Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ein Grußwort halten. Der Gemeindetag fand erstmals 2012 in Hamburg statt, 2013, 2016 und 2019 folgten Gemeindetage in Berlin.