Das neue Selbstbewusstsein der slowakischen Roma

Foto: Keystone Schweiz/laif/Arno Balzarini
Roma-Kinder in Kosice. Die slowakische Stadt ist europäische Kulturhauptstadt 2013.
Das neue Selbstbewusstsein der slowakischen Roma
"Identität, Stolz und Sprache": Das slowakische Kosice wird europäische Kulturhauptstadt 2013 - Anlass, sich auf das kulturelle Erbe zu besinnen. Dazu gehört im äußersten Osten des Landes auch die Roma-Minderheit. Ein Roma-Medienzentrum will Kultur und Geistesleben fördern.
28.10.2012
epd
Kilian Kirchgeßner

Später wird sie noch mitklatschen, vorne auf der Bühne, wenn die Jugendlichen zum wilden Rhythmus der Band tanzen. Sie wird ein Glas Wein in der Hand halten und zufrieden in sich hinein lächeln. Aber zuerst muss Jarmila Vanová noch eine Rede halten: Sie ist hier, um ein neues Wörterbuch vorzustellen - ein Romani-Wörterbuch, in dem etliche Dialekte der Roma-Sprache festgehalten sind. 

Roma-Kinder tanzen bei einem Festakt zur Vorstellung eines Romani-Wörterbuches im Roma-Medienzentrum in Kosice. Foto: epd-bild/Kilian Kirchgeßner

Das Publikum am Rand der ostslowakischen Stadt Kosice, nicht weit entfernt von Ungarn, Polen und der Ukraine, ist bunt gemischt. Viele Roma-Intellektuelle sind dabei, Wissenschaftler, Schulleiter, Publizisten. Das ist die Zielgruppe von Jarmila Vanová, die selbst zur Roma-Minderheit gehört. "Es ist wichtig, dass es Leute gibt, die sich intellektuell mit den Fragen der Identität beschäftigen", sagt sie. Vanová ist eine der Leiterinnen des Roma-Medienzentrums in Kosice, das journalistisch unabhängig über die Minderheit berichten will.

"Die Roma gelten in den Medien als perfekte Sensation"

"Ein Journalist, der die kulturellen Eigenheiten und die Sprache der Roma nicht kennt, der sieht das Thema schnell oberflächlich", ist Vanovás Erfahrung. Das Medienzentrum will gegensteuern - mit Berichten, die dem eigenen Anspruch zufolge zwar durchaus kritisch sein sollen, aber eben nicht sensationsheischend.

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Die Roma sind die größte Minderheit in der Slowakei. Je nach Schätzung gibt es in dem Fünf-Millionen-Einwohner-Land bis zu 500.000 Angehörige der Minderheit. Die meisten leben im Osten nahe der ukrainischen Grenze, rings um Kosice, das neben Marseille europäische Kulturhauptstadt 2013 wird. Hier gibt es viele jener berüchtigten Siedlungen, die im slowakischen "osada" heißen - eine Art von Ghettos, teils ohne fließend Wasser und ohne Strom.

Das sei in vielen Berichten slowakischer Medien das vorherrschende Bild, klagt Jarmila Vanová: "Die Roma gelten in den Medien als perfekte Sensation, man zeigt den Schmutz und das Chaos. Ich sage ja nicht, dass es das nicht gibt - aber das Problem ist, dass gezielt immer nur das Negative gezeigt wird." An dieser Stelle will sie mit dem Medienzentrum ansetzen.

Medienzentrum unterstützt Aktionen, um die Roma-Kultur stärken

Eine Handvoll Journalisten arbeitet in dem Büro, das vor allem aus öffentlichen Geldern getragen wird. Sie greifen viele Themen der Minderheit auf, die bei den klassischen Medien schnell untergehen - und sie bemühen sich immer wieder, eine Debatte über die Probleme der Minderheit ans Laufen zu bringen.

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Wenn man mit Hochdruck nur die sozialen Probleme zu lösen versuche, sagt Jarmila Vanová, gingen darüber "die Identität, der Stolz, die Sprache verloren." Eine gute Integration müsse die kulturellen Aspekte mit einbeziehen. Deshalb unterstützt das Roma-Medienzentrum Aktionen, die Geistesleben und Kultur der Minderheit stärken wie das Romani-Wörterbuch.

Diese Themen sollen auch einer der Schwerpunkte im europäischen Kulturhauptstadtjahr sein. Die Grundlage dafür ist schon einmal geschaffen: In den riesigen Plattenbau-Siedlungen rund um die Stadt, in denen viele Roma leben, sind in den vergangenen Monaten moderne Kulturzentren entstanden.

Einstige Heizkraftwerke sind Motor der Siedlung

"Früher war hier einmal ein Heizkraftwerk", sagt Blanka Berkyová aus dem Kulturhauptstadt-Team in Kosice und zeigt auf ein eingeschossiges Betongebäude, das sich zwischen Plattenbau-Riegel drückt. Jetzt, mit der fortschreitenden Technik, sind die Kraftwerke überflüssig geworden. "Da haben sich die Architekten gefragt: Warum wandeln wir es nicht einfach in ein Kulturzentrum um, wenn es doch so gut gelegen ist mitten in der Siedlung?"

Inzwischen sind die alten Heizkraftwerke in Kosice zu modernen Gebäuden geworden: Die schweren Metalltüren sind großen Fensterflächen gewichen, die einst geschwärzten Wände dienen jetzt als Präsentationsflächen für Kunstgewerke.

In den Siedlungen sorgt das für frischen Wind. Montag treffen sich die Frauen aus der Siedlung zum Patchworken, Dienstag gibt es Seidenmalerei, Mittwoch ist Musikkurs, Donnerstag und Freitag ist Yoga im Angebot. Die einstigen Heizkraftwerke seien längst zum Motor der Siedlung geworden, sagt Blanka Berkyová, Theatergruppen nutzen die markanten Kulturzentren inmitten der aufragenden Plattenbauten für ihre Aufführungen.

Jarmila Vanová ist inzwischen fertig mit der Vorstellung des Romani-Wörterbuches. Kinder und Jugendliche stürmen auf die Bühne, ausgelassen singen sie und tanzen unter den Scheinwerfern. Das, sagt Jarmila Vanová, sei einer der Schlüssel zur besseren Verständigung: "Die Roma können der Gesellschaft doch auch etwas geben. Vielleicht nichts Materielles, aber etwas Menschliches." Die Roma als Teil der Gesellschaft im Osten der Slowakei, nicht als Problem, sondern als Bestandteil des kulturellen Erbes - das ist ein Gedanke, der Jarmila Vanová gut gefällt.