Liao Yiwu: "Dieses Imperium muss auseinanderbrechen"

Foto: epd/Norbert Neetz
Der chinesische Schriftsteller Liao Yiwu ist mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden.
Liao Yiwu: "Dieses Imperium muss auseinanderbrechen"
Zornig kritisierte Autor Liao Yiwu China Machthaber, als er den Friedenspreis des Buchhandels entgegennahm. Um seine Botschaft zu unterstreichen, sprach er sogar Deutsch. Den Müttern der Opfer vom Tiananmen-Platz 1989 sang er ein Klagelied.
14.10.2012
epd
Elvira Treffinger

Der chinesische Autor Liao Yiwu ist am Sonntag mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden. In seiner Dankesrede übte der 54-jährige Dichter scharfe Kritik an der chinesischen Führung. "Dieses Imperium muss auseinanderbrechen", sagte Liao immer wieder - und wechselte bei diesem Satz vom Chinesischen ins Deutsche. Unter den Gästen aus Politik, Kultur und Gesellschaft in der Frankfurter Paulskirche waren Bundespräsident Joachim Gauck und Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU).

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Als Liao ein Klagelied auf die Opfer des Massakers am Tiananmen-Platz 1989 in Peking sang, kehrte ergreifende Stille in der Paulskirche ein. "Endlos ist die Welt der Menschen, zartgrün das Gras auf den Gräbern", sang Liao zu zarten Tönen einer Klangschale. "Mutter, was nutzt dein Klagen?"

In seiner mit langem Beifall bedachten Rede sagte der Poet, seit 1989 setze sich die blutige Unterdrückung von Dissidenten, Kirchen, Tibetern und vielen anderen in China fort. Liao selbst war wegen eines Gedichts, das die Geschehnisse vorwegnahm, vier Jahre lang inhaftiert worden, hatte Demütigungen und Misshandlungen erlitten. Seit seiner Flucht 2011 lebt er in Deutschland im Exil.

"Poetik der Wahrhaftigkeit"

In Frankfurt erinnerte der Autor eindringlich an das wohl jüngste Opfer von 1989, den neunjährigen Jungen Lü Peng: "Ich möchte, dass er niemals vergessen wird." In seinem Buch "Die Kugel und das Opium" hat Liao die Schicksale von 202 Ermordeten dokumentiert. Die Zahl der Opfer wird auf bis zu 3.000 geschätzt.

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In zornigen Worten rechnete Liao mit der politischen Führung in China ab. "Das Wertesystem dieses Imperiums ist längst in sich kollabiert und wird nur noch vom Profitdenken zusammengehalten", sagte er. "Im Namen des freien Handels macht der Westen mit den Henkern gemeinsame Sache." Die einfachen Leute müssten zwischen Blut und Grausamkeit ihr Dasein fristen.

Die Literaturkritikerin Felicitas von Lovenberg bescheinigte Liao eine "Poetik der Wahrhaftigkeit", die nichts erfinden müsse. Hunger, Schmerz, Angst oder Einsamkeit in seinem Werk seien bitterste eigene Erfahrung. Der Autor, der sich seit seiner Haft immer kahl rasiere, habe Rikschafahrern, Leichenwäschern, Kleinkriminellen, Bettlern, Kloputzern, Barmädchen und Mönchen zugehört.

Schreiben als Selbsterhalt

Durch das Sammeln von Einzelschicksalen stellt laut Lovenberg der einstige "Hippie-Dichter" und "Straßenmusiker mit der Flöte" die Würde unzähliger Menschen wieder her, die die Machthaber am liebsten auf der "Müllhalde der Geschichte" entsorgen wollten, sagte die Literatur-Chefin der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" in ihrer Laudatio.

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Liaos Gefängnistagebuch "Für ein Lied und hundert Lieder" sei ein atemloser Balanceakt entlang der Schmerzgrenze. Nach zwei Selbstmordversuchen werde die erzwungene Erniedrigung und Verrohung zum Weg, Widerstand zu leisten. Das Schreiben darüber werde zur letzten Bastion des Selbsterhalts. Er selbst sage, dass er seelisch bis heute nicht aus dem Gefängnis herausgekommen sei. Vor der Paulskirche dankten Tibeter Liao für seine Unterstützung in ihrem Streben nach Freiheit.

Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, würdigte Liao als einen "Volksschriftsteller", der seinen unterdrückten Landsleuten unerschrocken und sprachmächtig zu einer Stimme verholfen habe. Der Friedenspreis ist mit 25.000 Euro dotiert. Er wird seit 1950 während der Frankfurter Buchmesse vergeben. Der Börsenverein ehrt damit Persönlichkeiten, die sich besonders in Literatur, Wissenschaft und Kunst für den Frieden einsetzten. Im vergangenen Jahr wurde der algerische Autor Boualem Sansal ausgezeichnet.