Protestforscher: "Letzte Generation" keine irrationale Bewegung

Protestforscher: "Letzte Generation" keine irrationale Bewegung
05.06.2023
epd
epd-Gespräch: Lukas Philippi

Berlin (epd). Der Berliner Protestforscher Simon Teune hält die Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ nicht für eine sektiererische Gruppe. Eine apokalyptische Überhöhung der Klimakrise könne man der „Letzten Generation“ nur vorwerfen, „wenn man den Stand der Wissenschaft nicht zur Kenntnis genommen hat“, sagte Teune in Berlin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Leider gebe es keine wissenschaftliche Erkenntnis darüber, „welche Form von Protest geeignet ist, den Schalter umzulegen“, sagte der Bewegungsforscher an der Freien Universität (FU) Berlin.

Die Straßenblockaden hätten den zentralen Konflikt der Klimapolitik sichtbar gemacht: „Abstrakt sind alle - bis auf die AfD - für den Klimaschutz. Aber gleichzeitig möchte man möglichst nichts damit zu tun haben“, sagte Teune. Die Politik lasse den Menschen diese Illusion und erkläre die Klimabewegung zum Problem.

Laut dem Protestforscher ist die „Letzte Generation“ auch nicht mit der im 18. Jahrhundert entstandenen Gegenbewegung zur Industrialisierung mit romantisch aufgeladenem Welt- und Naturverständnis vergleichbar. Zwar stehe naturwissenschaftliches Wissen in der öffentlichen Kommunikation der Gruppe weniger im Vordergrund als bei „Fridays for Future“. Dennoch stünden viele Aktivistinnen der „Letzten Generation“ „voll im Stoff und sie gäben dieses Wissen in Workshops weiter“. Teune betonte: „Ich sehe hier keinen neuen Irrationalismus, sondern eine stärkere Ansprache der Emotionen, die mit der Klimakrise verbunden sind.“ Dieser Ansatz lasse sich als Ergänzung des wissensbasierten Transformationsansatzes von „Fridays for Future“ verstehen.

Der Soziologe bezeichnete zugleich die Prioritätensetzung der Bundesregierung in der Klimapolitik als „zutiefst unmoralisch“. Im Moment verbreite die Politik die Hoffnung, dass die Menschen in Deutschland möglichst lange an ihrem bisherigen Leben festhalten könnten, anstatt auf eine vorausschauende Klimapolitik zu setzen: „Nur dadurch könnten aber die absehbar großen Schäden durch die Klimakrise für Menschen in anderen Regionen der Welt und in der - durchaus nahen - Zukunft, abgemildert werden“, sagte der Berliner Soziologe.