Kräutermischung, Likörchen und magische Steine

Foto: epd-bild/Dieter Sell
Lavendel zählt zu jenen Pflanzen, deren Heilwirkung Hildegard von Bingen bereits vor 900 Jahren beschrieb.
Kräutermischung, Likörchen und magische Steine
Die heilige Hildegard ist auch zum Markennamen geworden.
Die Gesundheits- und Ernährungsregeln der heiligen Hildegard haben in den vergangenen Jahrzehnten viele Anhänger gefunden. Was nach deren Überzeugung Heilkräfte hat, halten Kritiker für magische Rituale und im Einzelfall für gesundheitsschädlich.
03.10.2012
epd
Karsten Packeiser

Der Kräuterlikör zu 34,60 Euro je Liter, das 128-seitige Werk zum Thema "Die Heilkraft der Edelsteine" und die abgepackten Tütchen mit Bio-Dinkelwalznudeln aus dem Onlineshop haben eines gemeinsam: Hersteller und Autoren berufen sich allesamt auf die heilige Hildegard von Bingen. Es gibt sogar Heilpraktiker, die bei ihren Kunden Aderlass nach den Vorgaben von Hildegard praktizieren - ausschließlich bei Vollmond oder in den Tagen danach, damit auch alle giftigen Stoffe aus dem Körper abfließen.

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Die Äbtissin aus Bingen wird nicht nur von vielen Katholiken verehrt, sondern gilt auch als eine Art Urmutter der europäischen Alternativmedizin. Das Geschäft mit Hildegard-Produkten boomt, stößt allerdings nicht auf ungeteilte Begeisterung. Seit der Österreicher Gottfried Hertzka in den 1970er Jahren den Begriff der sogenannten Hildegard-Medizin prägte, hat Hildegards Gesundheits- und Ernährungslehre immer mehr Anhänger gefunden. Da die christliche Mystikerin zu Lebzeiten vor 1.000 Jahren noch nicht an den Schutz von Markenrechten dachte, gibt es keine Instanz, die Unternehmen verbieten könnte, mit der Heiligen zu werben.

Einige Hildegard-Produkte gingen zweifelsfrei auf Empfehlungen der Heiligen selbst zurück, bestätigt Johannes Mayer, Leiter der "Forschergruppe Klostermedizin" an der Universität Würzburg. Die Verwendung von Bertrampulver oder auch Empfehlungen für Dinkelprodukte seien authentisch. "Vor kurzem haben wir aber zum Beispiel entdeckt, dass ein Anbieter einen Saft aus Aroniabeeren in der Tradition von Hildegard verkauft", sagt der Wissenschaftler. Die Beere stammt allerdings aus Nordamerika und war zu Lebzeiten der Äbtissin in Europa unbekannt.

Welche Rezepte gehen tatsächlich auf sie zurück?

Bei Hildegard-Produkten ist aber nicht nur die Frage zu klären, welche Rezepturen tatsächlich auf die Namensgeberin zurückgehen, sondern auch, welche Empfehlungen nach heutigem Wissensstand tatsächlich sinnvoll sind: Neben ihren visionären theologischen Schriften hatte die Heilige auch geradezu enzyklopädische Werke zur menschlichen Gesundheit und zur Behandlung von Krankheiten hinterlassen.

Hildegard beschrieb darin die Wirkung von Heilkräutern, aber sprach zugleich auch Edelsteinen geradezu magische Heilwirkungen zu. In ihren Werken werden Pflanzen beschrieben, die zur Heilung von Kranken einfach nur auf den Körper aufgelegt werden sollten, ebenso Pflanzen, die angeblich vom Teufel beeinflusst werden oder die gegen Liebeszauber helfen. Manche Rezepturen, etwa Mischungen mit Wolfsmilch oder den Einsatz von Maiglöckchen halte er für gesundheitlich bedenklich, warnt Mayer: "Es gibt Rezepturen, die würde ich nicht einnehmen."

Vernichtendes Urteil

Zu drastischen Einschätzungen kamen auch die Verfasser des von der Stiftung Warentest herausgegebenen Handbuchs "Die andere Medizin": Die pflanzliche Hildegard-Medizin könne nicht empfohlen werden, die Behandlung mit Edelsteinen sei abzulehnen, lautete das reichlich vernichtende Urteil der Autoren. "Zu diesen Aussagen stehen wir nach wie vor", teilt die Stiftung Warentest auf Anfrage mit. Es habe vonseiten der Anbieter auch keine gerichtlichen Schritte gegen die Publikation gegeben.

Der Mainzer Kardinal Karl Lehmann hält es nicht grundsätzlich für verwerflich, dass sich auch Hersteller von Lebensmittelzusatzstoffen und Kosmetika auf die Heilige aus Bingen berufen: "Aber es ist die Gefahr damit verbunden, dass man ihr Tun nicht mehr von der lebendigen Mitte ihres Glaubenszeugnisses her versteht - und dies sind ihre großen drei Hauptschriften mit Visionen eines ganz eigenen Stils -, sondern von Randerscheinungen, die in der Isolierung fragwürdig werden."