Filmkritik der Woche: "On the Road - Unterwegs"

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Filmkritik der Woche: "On the Road - Unterwegs"
Sex, Drogen und Bebop: Jack Kerouacs Jahrhundertroman "On the Road - Unterwegs" erzählt von einer rebellischen Generation im Aufbruch. Jetzt bringt Walter Salles die bisher unverfilmte Beatnik-Bibel mit Starbesetzung auf die Leinwand.
03.10.2012
epd
Frank Schnelle

Wenn 55 Jahre zwischen dem Erscheinen eines Romans und seiner Verfilmung liegen, dann hat wohl etwas nicht gestimmt. Vielleicht sperrte sich der Stoff gegen das andere Medium. Oder die Rechte waren nicht zu haben. Oder es hat ganz einfach niemand das Potenzial erkannt. Im Fall von "On the Road", einem Klassiker der Beatnik-Literatur, hat es jedenfalls nicht am Autor gelegen. Schon 1957, gleich nach der Veröffentlichung, bot Jack Kerouac Marlon Brando die Rolle des Landstreichers Dean Moriarty an. Ganz sicher keine schlechte Wahl: Der "Wild One" hätte den lebenshungrigen Charismatiker bestimmt mit animalischer Wucht verkörpert.

Francis Ford Coppola ("Der Pate", "Apocalypse Now") kaufte 20 Jahre später die Rechte und suchte lange nach einem gangbaren Weg. Zweifellos hätte er der Geschichte damals eine interessante Kopfnote verpasst. Es hieß unter anderem, er wolle sie in Schwarz-Weiß und im historischen 16-Millimeter-Format drehen. Aber es wurde schließlich nichts daraus, und so bekam mit großer Verspätung nun Walter Salles die Chance, nach Che Guevara in "Die Reise des jungen Che" einer weiteren Ikone des 20. Jahrhunderts ein filmisches Denkmal zu setzen.

Der Brasilianer wählt dabei den Mittelweg. Weder entscheidet er sich für einen sinnlichen, ausschweifenden Stil, noch versucht er sich an kühler, intellektueller Reflexion. "Unterwegs", das heißt für ihn schlicht: ein Roadmovie mit einer Reise von A nach B, mit zahlreichen Stationen wie an der Perlenkette aufgereiht und mit einer ziemlich simplen, erstaunlichen konservativen Moral.

Die Suche nach dem nächsten Kick

Die Story spielt in den späten 40ern und kreist um den angehenden Schriftsteller Sal Paradise (Sam Riley). Nach dem Tod seines Vaters freundet er sich im Nachkriegs-New York mit Dean Moriarty (Garrett Hedlund) an und folgt ihm auf einen Trip ins Reich von Sex, Drogen und Jazz. In wechselnder Begleitung durchqueren die beiden die USA, immer Richtung Westen, später nach Mexiko.

Dabei sind sie abwechselnd Landstreicher und Gangster, Tagelöhner und Touristen, und immer geht es um die Suche nach dem nächsten Kick - der wilden Bebop-Orgie, dem hemmungslosen Rausch, dem freien Sex in allen denkbaren Konstellationen. Alle Figuren des Films wie des Romans sind Kerouacs Zeitgenossen nachempfunden.

Der Dichter Allen Ginsberg tritt in Form des verklemmten Poeten Carlo Marx (Tom Sturridge) auf, William Burroughs, der Autor von "Naked Lunch", empfängt die Reisenden als Old Bull Lee (Viggo Mortensen) in seinem morbiden Südstaatendomizil. Auch die beiden wichtigen Frauenfiguren haben reale, allerdings weniger prominente Vorbilder. Marylou und Camille sind so etwas wie Fixpunkte für die jungen Männer. Die erste, gespielt von Kristen Stewart aus der "Twilight"-Saga, ist eine abgründige, freisinnige Begleiterin, die andere - Kirsten Dunst - dagegen die bodenständige Alternative.

Hübsche existenzialistische Postkarten

Walter Salles beschränkt sich in seiner Inszenierung darauf, hübsche existenzialistische Postkarten zu verschicken, die man schon gesehen zu haben glaubt, und verpasst dabei die Gelegenheit, dem Zusammenhang zwischen Wahrheit und Legende auf den Grund zu gehen. Seine Bilder bemühen sich zwar passagenweise um Modernität und Tempo, im Grunde illustrieren sie aber vor allem die gute alte Zeit, in der die Landschaft noch weit und die Autositze breit waren. Alles ist liebevoll ausgestattet und erlesen komponiert, die Kostüme sitzen und die Musik elektrisiert. Aber richtig lebendig wird das Ganze nicht.

Dafür sind zuletzt die beiden Männer im Zentrum verantwortlich, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Moriarty ist eine schillernde Figur, ein kluger Kopf, der sich als Anti-Intellektueller gibt und einen zügellosen Hedonismus lebt. Garrett Hedlund ("Tron: Legacy") fehlt jedoch die Statur, das glaubhaft auszufüllen. Mit Sal ist es umgekehrt: Sam Riley ("Control") agiert wunderbar introvertiert und zerbrechlich. Gleichwohl ist seine Figur eine Leerstelle im Film: Ein Protagonist, der eher Beobachter als Handelnder ist und uns leider ziemlich gleichgültig bleibt. 

USA 2012. Regie: Walter Salles. Buch: Jose Rivera. Mit: Sam Riley, Garrett Hedlund, Kristen Stewart, Amy Adams, Kirsten Dunst, Viggo Mortensen, Steve Buscemi, Tom Sturridge. Länge: 137 Minuten. FSK: ab 12 Jahren. FBW: besonders wertvoll.