Verurteilter KZ-Wachmann gestorben

Verurteilter KZ-Wachmann gestorben
In einem aufsehenerregenden Prozess war vor zehn Monaten ein ehemaliger Wachmann des KZ Sachsenhausen verurteilt worden. Nun ist er ohne Haftantritt mit 102 Jahren gestorben. In Brandenburg wird noch gegen eine frühere KZ-Aufseherin ermittelt.

Potsdam (epd). Fast 80 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus ist ein weiteres Verfahren wegen NS-Verbrechen ohne rechtskräftiges Urteil beendet worden. Der im vergangenen Jahr vom Landgericht Neuruppin verurteilte KZ-Wachmann Josef S. sei am 11. April mit 102 Jahren gestorben, bestätigte das Gericht am Donnerstag. Der Verteidiger von S. hatte nach dem Urteil Revision eingelegt. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs dazu stand noch aus. S. stand nach Überzeugung des Landgerichts von 1941 bis 1945 im KZ Sachsenhausen im Dienst der SS. Er wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt (Az.: 11 Ks 4/21), hatte die Haft aber wegen der ausstehenden Entscheidung noch nicht angetreten. Auch während der Hauptverhandlung hatte S. sich nicht in U-Haft befunden.

Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, das Internationale Auschwitz-Komitee und der frühere Chefermittler der Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg, Thomas Walther, betonten am Donnerstag die Bedeutung des Urteils vom 28. Juni 2022. Walther sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), die vom Landgericht getroffenen Feststellungen seien „den Überlebenden und den Familien der Mordopfer von Sachsenhausen auch ohne Bestätigung des Bundesgerichtshofs von überragender Bedeutung“. Der Jurist war als Nebenklageanwalt an dem Prozess beteiligt.

Die stellvertretende Leiterin der Gedenkstätte Sachsenhausen, Astrid Ley, sagte dem epd, dass es kein rechtskräftiges Urteil mehr geben wird, sei zwar bedauerlich. Der vom Landgericht „mit großer Sorgfalt geführte Prozess“ sei dennoch von „enormer Bedeutung“, weil der Urteilsspruch für die Überlebenden und Angehörigen ein Stück Gerechtigkeit geschaffen habe. Auch die KZ-Forschung profitiere durch wichtige neue Erkenntnisse. Ley war als Gutachterin an dem Prozess beteiligt.

Christoph Heubner vom Auschwitz-Komitee betonte, das Landgericht habe deutlich gemacht, dass „jeder SS-Angehörige, der an dem Räderwerk des Tötens in den Konzentrationslagern beteiligt war“, sich schuldig gemacht habe. Dies habe das Gericht auch akribisch beschrieben. Die Überlebenden seien dem Landgericht „für diese Haltung, die die Mörderwelt in den deutschen Konzentrationslagern realistisch beschreibt, dankbar“.

Das Landgericht Neuruppin hatte Josef S. wegen Beihilfe zum Mord und zum versuchten Mord in einer Vielzahl von Fällen verurteilt. Mit seinem Dienst im KZ Sachsenhausen habe er „Terror und Massenmord gefördert“, hieß es bei der Urteilsverkündung. Dies sei ihm auch bewusst gewesen. Mit seiner Wachtätigkeit habe er die NS-Verbrechen in dem KZ bereitwillig unterstützt.

In dem fast 100 Seiten langen Urteil heißt es, das Gericht habe keinen Zweifel, dass S. gewusst habe, dass die Tötungen in Sachsenhausen „Unrecht waren, für das es keinerlei Rechtfertigung gab“. S. hatte ausgesagt, er sei nicht in Sachsenhausen eingesetzt gewesen. Zuvor waren bereits in anderen Fällen Prozesse gegen früheres KZ-Personal ohne rechtskräftiges Urteil zu Ende gegangen, weil die Verurteilten vor der abschließenden Gerichtsentscheidung gestorben waren.