Krawczyk: Ausgrenzung schafft dunkle Zonen

Foto: epd-bild/Andreas Schoelzel
Der Liedermacher und einstige DDR-Bürgerrechtler Stephan Krawczyk bei einem Konzert in der Berliner Sophienkirche.
Krawczyk: Ausgrenzung schafft dunkle Zonen
Stephan Krawczyk über den Umgang mit Rechtsextremisten
Autor Stephan Krawczyk warnt vor der Ausgrenzung von Rechtsextremisten und wünscht sich eine "lichte Gesellschaft", in der es keine dunklen Ecken zum Verstecken gibt. In seinem Buch "Mensch Nazi" schildert der der Liedermacher und einstige DDR-Widerständler die Begegnung mit dem Neonazi Klemens und stellt dem Leser dessen Geschichte vor. "Aus einem jungen Menschen wird erst dann ein Neo-Nazi, wenn er zum richtigen Zeitpunkt die falschen Leute trifft", sagt der 56-Jährige im Interview.
03.10.2012
epd
Gloria Veeser

Herr Krawczyk, in unserer Gesellschaft ist es weitgehend politischer Konsens, Neonazis auszugrenzen. Ist Ihr Buch ein Plädoyer für einen anderen Umgang mit Rechtsradikalen?

Krawczyk: Es würde mich freuen, wenn es so wäre. Leider hat sich dieser Konsens der Ausgrenzung eingebürgert. Der Neonazi scheint der neue Untermensch zu sein. Doch wenn man ihn von oben betrachtet, kommt man nicht auf den Grund dessen, warum diese Menschen so sind und so handeln.

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Woher das Interesse - sind Vorbehalte gegenüber Nazis nicht erstmal angebracht?

Krawczyk: Mit Klemens, dem Protagonisten meines Romans, wäre ich in kein Gespräch gekommen, wenn ich ihn vorverurteilt hätte. Ausgrenzung schafft dunkle Zonen, in denen alles Mögliche geplant werden kann. Ich wünsche mir eine lichte Gesellschaft, die nicht andauernd davon schockiert und entsetzt sein muss, was in ihr vonstatten geht.

Die Enthüllungen im Zuge der Ermittlungen gegen den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) lassen vermuten, dass es gerade im Osten solche dunklen Zonen gibt. Haben Sie die DDR als einen besonderen Nährboden für rechtes Gedankengut erlebt?

Krawczyk: Wenn "rechtes Gedankengut" das ist, was den Menschen zum intoleranten, bornierten Zeitgenossen macht, dann hat die DDR-Diktatur einiges dafür getan, um diesen Untugenden Vorschub zu leisten, da sie selbst intolerant und borniert war.

"Ich hatte den Eindruck, als läge ein Schleier auf der Stadt"

Auch heute sind Sie sind mit ihrem musikalischen und literarischen Programm viel im Osten Deutschlands unterwegs. Hat sich die Stimmung dort durch die NSU-Morde geändert?

Krawczyk: Als NSU noch "Zwickauer Terrorzelle" hieß, war ich in Zwickau und hatte den Eindruck, als läge ein Schleier über der Stadt. Die Leute schienen mir irgendwie bedrückt zu sein, weil ihre Heimatstadt plötzlich in einem solchen Zusammenhang stand. Es war eine sprachlose Bedrückung.

Begegnen Ihnen auch Neonazis?

Krawczyk: Man weiß natürlich nicht, was in den Menschen vorgeht, die einem auf der Straße begegnen, aber ein waschechter Neonazi, den man auf den ersten Blick an den Symbolen der Bewegung erkennt, ist mir lange nicht begegnet. Das letzte Mal vor einem Jahr. In Erfurt war ich irrtümlicherweise in eine Nazi-Kneipe geraten. Ich hab ganz schnell wieder kehrt gemacht.

Muss man dem Staat vorwerfen, nicht genug gegen Rechtsradikalismus zu tun?

Krawczyk: Es wird nicht genug dagegen getan, dem allgemeinen Unsinn in unserer Gesellschaft das Wasser abzugraben. Im Gegenteil wird der Unsinn immer umfassender und unfassbarer. Es wundert mich, dass die radikalen Tendenzen nicht stärker sind. Aber wir haben das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht.

"Es gab genügend Hinweise auf die Terrorzelle"

Sie wurden selbst lange Jahre von der Stasi überwacht, haben einige Erfahrungen mit Geheimdiensten: Glauben Sie dem heutigen Verfassungsschutz, dass er so lange ahnungslos war?

Krawczyk: Der Verfassungsschutz ist nie ahnungslos. Es gab außerdem genügend Hinweise auf die kriminelle Vereinigung, die wir heute wie eine Automarke nennen. Vielleicht haben die Behörden beim Googeln den falschen Begriff angeklickt. Irgendetwas haben sie offenbar falsch gemacht.

Was müsste man von behördlicher Seite anders machen?

Krawczyk: Von den Behörden wünsche ich mir ein Gesetz, das den Eltern verbietet, ihre Kinder im Kopf und im Herzen allein zu lassen.

Also ist eine schwere Kindheit schuld, wenn Jugendliche mit Nazis liebäugeln?

Krawczyk: Liebäugeln würde ich es nicht nennen. Einsamkeit ist existenziell. Aber aus einem jungen Menschen wird erst dann ein Neo-Nazi, wenn er zum richtigen Zeitpunkt die falschen Leute trifft. Einen jungen Mann, der schon zu einer Gruppe Gleichgesinnter gehört und dort akzeptiert wird, kann man nicht mit dem Kameradschaftsgeist einer Wehrsportgruppe locken. Aber einen Einsamen, der kulturell und seelisch verwahrlost ist, schon.

"Ein Kind so lange begleiten, bis es fest auf seinen Beinen steht"

Was können Eltern tun, um zu verhindern dass ihr Kind in die rechte Szene rutscht?

Krawczyk: Man muss ein Kind so lange begleiten, bis es fest auf seinen Beinen steht. Die meisten Jugendlichen werden in der Pubertät allein gelassen. Eltern und Kinder haben dann nur noch selten eine gemeinsame Sprache. Anwesend sein, Sprache suchen, sich in den Anderen hineinversetzen: Dann klappt das auch mit der politischen Bildung.

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Also tragen die Eltern die Verantwortung für die politische Meinung ihrer Kinder?

Krawczyk: Die Eltern sind in den ersten Jahren dafür zuständig, die Grundwerte ins Kind zu senken: Was ist richtig, was ist falsch, was ist schön, was hässlich, was gut, was böse, was klug, was dumm und so weiter. Ein über diese Dinge aufgeklärter Heranwachsender wird ganz selbstverständlich irgendwann ein verantwortungsbewusster Mitmensch.

Was, wenn es schon zu spät ist? Wie gewinnt ein Neonazi seine Menschlichkeit zurück?

Krawczyk: Nicht durch Ausgrenzung. Bei vielen Neonazis hat das Nazisein einfach aufgehört, wenn sie die richtige Freundin gefunden haben. Bei meinem Protagonisten Klemens war es vorbei, als er einen anderen geistigen Halt gefunden hatte. Das kann aber purer Zufall sein.