Russische Atomexperten könnten bald in Lingen arbeiten

Russische Atomexperten könnten bald in Lingen arbeiten
Französischer Konzern will Brennstäbe mit russischem Partner fertigen
14.04.2023
epd
Von Reimar Paul (epd)

Lingen (epd). In der Brennelementefabrik im emsländischen Lingen könnten bald auch russische Atomkraft-Experten beschäftigt werden, falls ein Antrag auf die Fertigung bestimmter Brennelemente genehmigt wird. Das geht aus einem Schreiben des niedersächsischen Umweltministeriums an das Bündnis „Atomkraftgegner im Emsland“ hervor. Eine Kopie des Briefes liegt dem Evangelischen Pressedienst (epd) vor. Atomkraftgegner übten scharfe Kritik an der Entwicklung.

Der Betreiber der Fabrik, der französische Konzern Framatome, hatte kürzlich ein Joint Venture mit TVEL vereinbart, einer Tochter des russischen Staatsunternehmens Rosatom. Die zuletzt nicht ausgelastete Lingener Fabrik will künftig auch Brennstäbe für Atomreaktoren russischer Bauart produzieren, die vor allem in Osteuropa laufen. Ein entsprechender Antrag liegt dem niedersächsischen Umweltministerium als atomrechtlicher Genehmigungsbehörde vor. Bislang wurden in Lingen nur Brennstäbe für westliche AKW gefertigt. Die Fabrik ist vom Atomausstieg ausgenommen.

TVEL beteiligt sich mit 25 Prozent an dem Joint Venture. „Nach Angaben der Antragstellerin sollen voraussichtlich Mitarbeiter der russischen Firma TVEL unterstützend tätig werden“, heißt es in dem Schreiben des Umweltministeriums. Ein Ministeriumssprecher bestätigte dies auf Anfrage.

Der Sprecher des Atomkraftgegner-Bündnisses, Alexander Vent, hält diese Information für „alarmierend“. Personen, die in ihrer Funktion direkt dem Kreml unterstellt seien, erhielten Zugang zu hochsensibler kerntechnischer Infrastruktur in Deutschland, sagte er dem epd: „Ungeachtet der kriegerischen Übernahme des AKW Saporischschja durch Experten von Rosatom, ungeachtet jetzt schon von vielen EU-Ländern geforderter Handelssanktionen gegen Russland auch im atomaren Bereich, ungeachtet des noch immer währenden russischen Angriffskriegs auf die Ukraine.“ Die Sanktionen westlicher Staaten gegen Russland umfassen bislang nicht den Nuklearsektor.

Auch der Verein „Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs“ (IPPNW) kritisierte die Entwicklung scharf. „Es ist ein absoluter Skandal, dass es denkbar ist, ein Jahr nach Beginn des brutalen völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, hier in Deutschland eine russisch-französische Atomkooperation zu beherbergen, die gemeinsam Brennelemente für AKW herstellt“, sagte die Vorsitzende Angelika Claußen. Die niedersächsische und die bundesdeutsche Politik hätten es in der Hand, diesem Treiben einen Riegel vorzuschieben. Letztlich müsse die Brennelementefabrik in Lingen ganz stillgelegt werden: „Sonst bleibt der deutsche Atomausstieg eine Mogelpackung.“

In Russland leitet die 1992 vom heutigen Präsidenten Wladimir Putin als Nachfolger des sowjetischen Ministeriums für Nukleartechnik und Nuklearindustrie mitgegründete Firma Rosatom die zivile und militärische Atomindustrie des Landes und hat damit die Aufsicht über rund 150 Produktionsstätten. Nach Schätzungen von Experten des EU-Parlaments kontrolliert Rosatom weit mehr als 90 Prozent des nuklearen Materials in Russland. Rosatom untersteht direkt der russischen Regierung.