Kritik an "Vermisst"-Kampagne des Innenministeriums nimmt zu

Kritik an "Vermisst"-Kampagne des Innenministeriums nimmt zu
Nach Migrantenverbänden und Opposition kommt jetzt auch aus den Regierungsparteien Kritik an der "Vermisst"-Kampagne des Bundesinnenministeriums.

"In dieser Form sollte die Kampagne nicht fortgesetzt werden", sagte der CDU-Politiker Ruprecht Polenz der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (F.A.S.)". Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wies die Kritik im Berliner "Tagesspiegel" zurück. Die Kampagne, deren Plakate Vermisstenanzeigen ähneln, richtet sich gegen eine Radikalisierung islamischer Jugendlicher.

"Das Innenministerium muss erkennen, dass es so nicht geht", sagte Polenz. Zwar seien Absicht und Ziel im Grundsatz richtig, aber die Kampagne werde durch die Art der Umsetzung verfehlt. "Durch die Plakate wird die gesamte muslimische Minderheit in die Nähe von Extremismus und Fundamentalismus gerückt", so der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag.

"Die Kanzlerin muss personelle Konsequenzen ziehen"

Auch die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer (CDU) äußerte Zweifel, "ob mit einer solchen Visualisierung das Ziel erreicht wird". Sie zeigte sich überrascht, "dass, nachdem die Plakataktion zurückgestellt wurde, dann Postkarten verteilt wurden. Und das ausgerechnet auch in der Keupstraße in Köln, wo es bei einem Mordanschlag der NSU zahlreiche Verletzte gegeben hat." In der CDU hieß es dem Bericht der "F.A.S." zufolge, eine große Zahl von Fraktionsmitgliedern sehe die Kampagne kritisch.

###mehr-artikel###

Der FDP-Integrationspolitiker Serkan Tören forderte, das Geld lieber für Prävention zu verwenden. Die Kampagne sei von Anfang an keine gute Idee gewesen. "Sie führt dazu, dass die Mehrheitsgesellschaft den Islam mit Extremismus verbindet".

Die SPD-Politikerin Kerstin Griese rief Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, die Kampagne sofort zu stoppen. "Es ist schon zu viel Misstrauen gesät worden", erklärte die SPD-Fraktionsbeauftragte für Kirchen und Religionsgemeinschaften am Samstag in Berlin. Die Kanzlerin müsse jetzt "die Konsequenzen ziehen, gegebenenfalls auch personelle". Fast täglich sei aus dem NSU-Untersuchungsausschuss zu hören, wie die Sicherheitsbehörden die Opfer als Täter verdächtigt hätten, so Griese. Vor diesem Hintergrund sei das Verhalten von Innenminister Friedrich unerträglich.

Aus Sicherheitsgründen bisher keine Plakate geklebt 

Der Sprecher des Koordinationsrats der muslimischen Migrantenverbände, Ali Kizilkaya, forderte ebenfalls die Kanzlerin und Bundespräsident Joachim Gauck auf, dafür zu sorgen, dass die "unsägliche Kampagne" eingestellt werde. "Ich hoffe, dass der Bundespräsident sich einschaltet und die Bundeskanzlerin ein Machtwort spricht", sagte Kizilkaya der "F.A.S". Das Vertrauen zwischen Innenminister und muslimischen Verbänden sei durch die Kampagne sehr stark beschädigt. Das Verteilen von Postkarten in der Keupstraße nannte Kizilkaya "unbeschreiblich unsensibel".

Innenminister Friedrich sagte dem "Tagesspiegel"  (Sonntagsausgabe): "Mich ärgert es, dass die Kampagne missbraucht wird, um mir eine islamfeindliche Einstellung vorzuwerfen." Der in der Türkei geäußerte Verdacht, er wolle ein Spionagesystem gegen Muslime in Deutschland installieren, sei "völlig abwegig", sagte Friedrich.

Das Innenministerium will mit der "Vermisst"-Kampagne für eine Beratungsstelle werben, an die sich Angehörige und Freunde wenden können, wenn sie das Gefühl haben, ein Mensch in ihrem Umfeld gerate in die Fänge von Islamisten. Ende August wurde die Aktion im Internet gestartet. Auf das Kleben von Plakaten wurde bislang aus Sicherheitsgründen verzichtet.